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Das Amtsblatt der Stadt Freiburg in der Coronakrise: Verpasste Chancen zur Krisen-Kommunikation, fehlende Tote, oder wer ist besonders von Corona getroffen?

Ein Jahresrückblick anhand der Amtsblatt Ausgaben seit Beginn der Corona Krise und warum ich glaube das wichtige Informationen zur Bewältigung der Krise gefehlt haben und „besonders von Corona getroffen“ (Zitat Beitrag der Grünen Fraktion 18.12.), eben nicht die Einzelhändler sind.

Es gibt Leute in Freiburg, die haben kein Abo der Badischen Zeitung und die haben auch kein Internet. Etwa weil sie knapp bei Kasse sind. Die sind also auf Informationen, die sie gedruckt in den Briefkasten gesteckt bekommen, etwa die Gratisblätter von der Sonntag (stark eingedampft inzwischen) über Wochenbericht und Stadtkurier bis hin zum Dreisamtäler angewiesen. Leider war der eine gewisse Zeit, recht Schwurbeloffen. (Kritik dazu: Leserbrief, Leserbrief)

Aber die Stadt Freiburg leistet sich ein Amtsblatt, dass recht zeitungsähnlich daherkommt und mindestens was das städtische politische Geschehen betrifft, umfangreich informiert. Da gibt es zu jeder Gemeinderatssitzung mehrere Artikel, jede Fraktion einen Meinungsbeitrag, in Umfang nach große der Gruppierung und natürlich erfährt man alles über Baugebiete, den Haushalt, Wohnen, Mietspiegel, Eröffnungen oder Spartenstiche (Im Amtsblatt vom 18. Dezember 2020 drei Spartenstiche, davon einer virtuell!) 

Jetzt darf ein Amtsblatt nicht über alles berichten, es gibt diverse Gerichtsentscheidungen die diese Berichte einschränken. Es ist etwa nicht zulässig, allgemein Themen aufzugreifen, die von besonderer Bedeutung für die Stadt erscheinen. Berichte müßen einen Zusammenhang mit der Verwaltungstätigkeit haben. Etwa darf die Verwaltung erklären, warum sie das Freundschaftsspiel eines Sportvereins fördert. Anders ist es aber bei Gefahrensituationen: “Im Vordergrund sollte hier die Information stehen, wo Betroffene bei der Verwaltung etwa Hilfe einfordern können, welche Maßnahmen sie ergreifen können und was etwa bei Windböen mit dem Mülleimer vor der Haustür oder der angekündigten Sperrmüllabfuhr ist.“ (Zitat aus Kommunal 8.11.2019)

Das merken wir uns uns für diesen Artikel. Die Bezüge zur Stadtverwaltung dürften aber in der Bewältigung der Corona-Krise umfassend sein: Schließlich wird die Krise vor Ort in den Kommunen bewältigt und auch bearbeitet. Die Kontaktverfolgung macht für die Stadt Freiburg etwa das beim Landkreis Breisgau Hochschwarzwald angesiedelt Gesundheitsamt, die Stadt baut Fieberklinik und Impfzentrum in ihrer Messeauf und muß als Ortspolizeibehörde Maßnahmen wie Quarantäne anordnen und durchsetzen. Auf ihrer Website hat sie dazu ein eigenes Informationsportal eingerichtet. Da findet man recht übersichtlich und schnell viele Infos. 

Das Amtsblatt der Stadt Freiburg

Grundsätzlich besteht es aus etwa 1,5 Seiten Fraktionsbeiträgen, auf der Rückseite eine halbe Seite Stellenanzeigen der Stadt und eine halbe Seite Anzeigen von lokalen Unternehmen. Dann hat es wie jede Zeitung eine Titelseite. Theoretisch erreicht das Amtsblatt alle Haushalte und Erscheint alle zwei Wochen, außer in den Ferien.

Ich werde hier nun die einzelnen Ausgaben vom 28.Februar bis 18.Dezember durchgehen. Wem das zu detailliert ist, der kann einfach klicken und kommt zum Fazit.

Die erste Erwähnung des Corona Virus findet sich am Freitag, 28. Februar 2020 Amtsblatt Nr. 762  auf Seite 3. Unter der Überschrift: „Corona­ Virus: Stadt ist vorbereitet Koordinierungsstelle eingerichtet“ gibt es einen Artikel der erklärt dass eine Koordinierungsstelle eingerichtet sei, der Pandemieplan überarbeitet werde und es gibt gibt Tipps zum Schutz: Händewaschen, gut Lüften, keine Hände Schütteln. Dazu eine Hinweis auf eine Hotline des Landesgesundheitsamtes. Bis zum Ende diesen Jahres, wird dies der einzige Artikel sein, der erklärt wie man sich schützt!

Aufmacher dieses Amtsblatts ist die Schenkung einer Hamburgerin an das Haus der graphischen Sammlungen. Drei Corona Infizierte in Freiburg. / 66 in Deutschland

Amtsblatt 28.2.2020. Keine Angst, die Stadt ist vorbereitet.

Die erste Welle

Die nächste Ausgabe am 13.3. hat das Thema dann schon auf der Titel Seite. Alle Veranstaltung über 1000 Personen, wie der Freiburg Marathon werden abgesagt. Der Ordnungsbürgermeister appelliert an die Bevölkerung: „Bei Veranstaltungen unter 1000 Teilnehmern appellieren wir an die Eigenverantwortlichkeit aller Beteiligten. In der jetzigen Situation muss die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger sowie die Leistungsfähigkeit unserer Kliniken, Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen Vorrang haben.“ 

Die Allgemeinverfügung ist vom 10.3, am 7.3 postet Breiter noch ein Selfie aus dem SC Stadion. Der Oberbürgermeister ist übrigens in Wiwilli. Die Deutsche Welle meldet am 8.3. 366 Todesfälle in Italien und Abriegelung ganzer Regionen. Am 12.3. wird der erste Bundesligaprofi positiv getestet.

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Am 27.3.: Sonderausgabe! Titelseite mit offenem Brief des OB an die Bürger: Zusammenhalten, Verordnungen und Verbote befolgen, lokal einkaufen. Vieles mache Mut. Ein Projekt unter #freiburghältzusammen werde entwickelt. Auf Seite 4 eine Übersicht über die Hilfsangebote, Erklärung wie sich das Virus ausbreitet, Notfallbetreuung für Kinder, Gemeinderatssitzungen sind abgesagt.

Die Fraktionsbeiträge sind alle zum Thema Corona. Selbst die AfD Gruppe im Gemeinderat hat ein für ihre Verhältnisse fast konstruktiven Beitrag. AfD-Sprechtypisch kommen arbeitende Frauen nur als Supermarktkassiererinen vor. Hilfreich wird das ganze mit einem Bild der beiden Stadträte garniert, da spart man sich für später wenigstens das Fahndungsfoto bei Straftaten. Sonst schwanken die Beiträge der Fraktionen von Aufrufen zu Hause zu bleiben (CDU), Erklärungen wie sich das Virus verbreitet (FDP, Freiburg Lebenswert), Hinweis auf die Gemeinderatspause (Eine Stadt für Alle, ESFA) oder auch der Zurückweisung der Schuldzuschreibung, das Jugendliche durch Coronapartys an der Verbreitung Schuld wären (JUPI). Einige Fraktionen erwähnen “Solidarität” (FWV, SPD, JUPI).

Am 11. April fängt dann schon die organisatorische und ideologische Bearbeitung der Krise statt. Auf der Titelseite ist eine mögliche Fieber Klinik, Informationen über die Arbeit des Krisenstabs, ein Aufruf an Helfer und der OB beim Besichtigen der Fieberklinik. Das Fotomotiv “Oberbürgermeister besucht städtische Angestellte um schaut zu wie sie die Krise bewältigen”, wird immer mal wieder auftauchen” Auf Seite 4 werden noch einmal die Hilfsangebote wiederholt. Neben dem Hinweis auf Notdienste und Hilfsangebote gibt es auch einen doppelseitigen Bericht über Freiburgs ersten Fotograf. Außerdem ein Bericht über die Umstellung der Produktion im Stadttheater auf Mundschutz, mit Foto vom OB und Intendant, die dabei zuschauen aber selbst keine Maske tragen und die Fieberambulanz in der Messe.

Und so wie die Krise organisatorisch bewältigt wird, beginnt auch bei den Fraktionsbeiträgen die Einordnung ins eigene ideologische Weltbild: Die Grünen wollen das Fahrradläden geöffnet werden und unter der etwas seltsamen Überschrift „Pflegekräfte: Mehr Applaus ist nötig!“, fordern sie mehr Geld für Pflegekräfte. 

Die CDU feiert die erfolgreiche Sicherheitspartnerschaft, JUPI die Aufnahme von Flüchtlingen und Elsässischen Patienten. Die Freien Wähler fordern die Verschiebung des Stadt Jubiläums ins Jahr 2021, ESFA Umverteilung. Die FDP beklagt dem Corona Stillstand und fordert Öffnungen. Atai Keller erklärt für die SPD Kunst und Kultur für unverzichtbar und dankt noch mal schnell den Pflegekräften. Und auch die AfD fordert Öffnungen nach Ostern und ein Einsparungen beim “Nazi Museum”. (Klar warum man als AfD nicht an die Gräuel der Nazi Herrschaft erinnert werden möchte). 

Neue Corona Fälle an diesem Tag in Freiburg: 23, insgesamt bisher 811, davon 35 gestorben, an diesem Tag 5.

Mit Nummer 766 vom 24. April 2020 geht es langsam wieder aufwärts. Es gibt erste Lockerung und auf der Titel Seite den Hinweis auf ein eigenes soziales Netzwerk der Stadt Freiburg: #freiburghältzusammen. Sowie der Nachricht, dass sich die „Verwaltungspitze“ per Videokonferenz mit dem Gemeinderat ausgetauscht hat. Wobei die ganze Verwaltungspitze, also Bürgermeister und wichtige Amtsleiter in der Gerichtslaube saß, ohne Maske und der Gemeinderat daheim. Wohlgemerkt bereits am 15.4. wird zu „Alltagsmasken“ geraten. Dann gibt es noch eine Doppelseite die über den Notbetrieb der Ämter informiert und die Nachricht, dass das Stadtjubiläum bis in September pausiert.

Die  Grünen weisen auf das Los der Familien hin. Die CDU fordert ein Autokino, JUPI fordert die Rettung der Freiburger Nachtgastronomie, Die Freien Wähler die Rettung des ausgeglichenen Haushalts, die SPD die Rettung der Zuschussempfänger, die FDP die Rettung der Gewerbebetriebe durch niedrige Steuern. Die AfD „Gradmesser der richtigen Öffnung dürfen nicht alleine Infektionszahlen sein“, auch die “Belastungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens“ um die es ja gut stehe, solle Handlungsleitend sein, weshalb man ruhig schnell wieder aufmachen könne.

Am 8. Mai ist dann schon fast wieder alles beim alten. Dazu auch zwei Seiten mit Hinweisen was jetzt bei den wieder alles normal sei. Man versichert den Bürgern das es trotz Trockenheit genug Trinkwasser gibt, die Regiokarte teurer wird und erinnert mit Doppelseite an das Kriegsende.

Bei den Gruppierungen und Fraktionen im Gemeinderat taucht das Thema Kinder in der Krise plötzlich auf: ESFA und SPD wollen mehr auf Anliegen von Kindern in dieser Krise hören, die FDP auf Bauherren. Die CDU ruft zum Durchhalten auf, andernfalls drohe eine zweite Welle (!), Die Grünen wollen das ganze als Chance für Rat und Fußverkehr nutzen, die Freien Wähler um überall Tempo 40 einführen zu dürfen und die AfD um überall da zu sparen wo es ihnen nicht passt: Etwa bei der Umbenennung von Nazi- Straßennamen, Flüchtlingen oder Förderung von Linksradikalen.

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Im Sommer wird es still um Corona

Die Ausgaben vom 22. Mai 2020 und 5. Juni 2020, sind eigentlich relativ ähnlich. Durch Corona droht ein Haushaltsloch. Die progressiven Fraktionen möchten die Stadtbau neu aufstellen, die konservativen Fraktion möchten ein Gymnasium in den Tuniberg Ortsteilen. Sonst gibt es Neuigkeiten über Dietenbach und Straßenbahn Ausbau.

Auf Seite vier erfährt man: Die Corona-Warn-App ist nun verfügbar!

In der Ausgabe vom 19.6. gibt es einen Appell der FWTM doch auf dem Münstermarkt eine Maske zu tragen und den Hinweis auf Seite 3, dass die Corona-Warn-App jetzt verfügbar sei. Immerhin: „Die Installation ist einfach und erfordert nur wenige Schritte.“ Wie man sie nun genau installiert, wird wahrscheinlich aus Platzgründen nicht erwähnt, auch etwa ein QR Code zur schnellen Installation fehlt.

Die Badische Zeitung recherchiert am 24. Juni für Freiburg eine Übersterblichkeit für April. Hinweise darauf finden sich, obwohl die Daten vom Standesamt kommen, nicht. Es gibt dazu auch keinen Hinweis beim Amt für Statistik oder eine Publikation.

Grüne und SPD fordern die Schwimmbäder zu öffnen. JUPI fordert einen Härtefallfonds für die Veranstaltungsbranche und die Freien Wähler die Ortschaftsräte ernst zu nehmen. Die CDU Stadtbahnausbau im Freiburger Osten und Eine Stadt für Alle doch die KTS aus dem Visier des Verfassungsschutzes zu nehmen.

Mit der Ausgabe Nummer  771 vom 3. Juli 2020 ist Corona aus Freiburg oder zumindest dem Amtsblatt verschwunden. Es gibt noch ein Foto von der Maskenspende nach wie Wiwilli und sonst Freude über die Abschaltung von Fessenheim und den neuen Skatepark. Mit Stellenanzeigen und Bekanntmachung hat das Amtsblatt immerhin zehn Seiten. Am 17. Juli 2020 kommt Corona gar nicht mehr vor, auch keine Besprechung der Krisenfolgen. Das ist insofern spannend, als das Martin Horn ein Video teilt, auf dem er sich mit dem Leiter der Abfallwirtschaft unterhält: „Corona war das Schlimmste, was ich je in meinem Leben hatte.“, sagt ein noch immer sichtlich gezeichneter Michael Broglin.

Das ändert sich dann mit der darauf folgenden Amtsblatt Ausgabe vom 31.7.: Direkt vor den Sommerferien. Da geht es zum einen auf der Titelseite um trübe Aussichten bei Fahrgastzahlen der VAG und beim kommenden Doppelhaushalt. Aber auch um Corona-Nothilfe für Kultur- und Sporteinrichtungen auf Seite 5. Und eine Antikörper Studie, um herauszufinden, wie viele Menschen zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit Sars-Cov-2 infiziert waren.

JUPI freut sich über das Förderprogramm für Clubs, die FDP titelt makaber “Clubs und Spielstätten am Beatmungsgerät”. Die Freien Wähler erklären ihr „Bekenntnis zum Eisstadion“, ohne zu erklären wie sie es finanzieren möchten, so auch die AfD. Die Grünen Laden zur Sommertour ein und promoten schon mal ein bisschen Landtagskandidatin Nadyne Saint-Cast.

Mitten in den Ferien am 14. August erscheint dann die Sommerausgabe, da gibt es immerhin eine Notiz über 200.000 € für die Clubs und die JUPI Fraktion veröffentlicht ein Beitrag der die Partei Stadträtin: “Maskenpflicht olé olé – ein Plädoyer”. Sowohl Freiburg Lebenswert als auch die Freien Wähler kümmern sich um die Rattenplage in der Stadt (!). Die Grünen rufen noch mal zu ihrer Sommertour auf und SPD/Kulturliste geben ein „Bekenntnis zur Kultur“ ab. Die AfD druckt ein Goethe Gedicht und noch mal zwei Fahndungsfotos ihrer Gemeinderäte.

Wegen Sommerpause erscheint das nächste Amtsblatt dann am 11. September. Corona findet auf Seite 4 statt mit zwei Meldungen: Öffnung eines Testzentrums für Urlaubsrückkehrer auf der Messe und dem Hinweis dass die Caravan-Messe trotz Corona stattfindet, aber die Herbstmesse ausfällt. Fotografisches Highlight ist auf Seite zwei das Abseilen des OB aus einer Seilbahngondel. Eine Doppelseite informiert über den Stadtbahn Ausbau, eine Seite wird dem 30-jährigen Jubiläum des Umweltdezernats gewidmet.

Die Grünen finden Parklets toll (ich ja bekanntlich auch), die CDU fordert mehr Sauberkeit, JUPI keine Schlagstöcke für den Gemeindevollzugsdienst, die Freien Wähler wollen Knüppel, auch wegen der Menschenansammlungen in der Innenstadt, die ja wiederum Corona verbreiten würden. Die FDP freut sich über 5G, die SPD fordert Transparenz bei der Eishalle und die AfD hetzt gegen Migranten.

Zahlreiche Freiburger*innen berichten diese Publikation aus Reihen der Querdenker im Briefkasten zu haben.

Auch in der Ausgabe am 25.9 ist Corona weit weg, nämlich 9.158 km. Soweit ist die Partnerstadt Wiwilli, mit einem Spendenaufruf. Sonst startet das Stadtjubiläum wieder und die Baugenehmigung für das neue SC Stadion ist doch rechtens. Die Grünen finden Heizpilze unnötig, die CDU Schlagstöcke nötig, JUPI Diskriminierung unnötig, ESFA die Aufnahme geflüchteter nötig. Die AfD findet Schlagstöcke auch gut und freut sich darüber dass die Büste das Antisemiten Alban Stolz erst mal stehen bleiben kann.

Am 9. Oktober ist das beherrschende Thema sowohl auf der Titelseite als auch in den Fraktionsbeiträgen das Eisstadion. Die FDP will einen privatem Investor, bei überhaupt und sowieso das Eisstadion. Die Grünen wollen geflüchtet aus Moria aufnehmen, ESFA und die SPD auch. Die AfD natürlich nicht. Sonst erfahren wir viel was Ämter tun und was es für schöne Ausstellungen es aktuell im Museum für moderne Kunst gibt.

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Die zweite Welle kommt

Am 23. Oktober ist das Thema Corona plötzlich auf der Titel Seite. Pandemiestufe III, weil die Zahl der Neuinfektionen innerhalb einer Woche den Wert von 50 pro 100.000 Einwohner überschritten hat. Zum ersten Mal erfahren wir übrigens im Amtsblat einen Wert der Corona Infektionen. Der OB appelliert: Es sind jetzt alle gefordert! Für zunächst 14 Tage gilt Maskenpflicht in der Innenstadt, Sperrstunde ab 23:00 Uhr, Veranstaltungen auf 100 Personen beschränkt, maximal 10 Leute bei privaten Treffen. Das alles werde von Ordnungsamt und Polizei überwacht. In Stuttgart verfügte die Stadt übrigens eine Entzerrung des Unterrichtsstarts und eine Maskenpflicht im Unterricht, in Freiburg gibt es keine solche Regelung. Eine ganze Seite beschäftigt sich mit 25 Jahre Kontaktstelle Frauen und Beruf und 35 Jahre Frauenbeauftragte. Auch nicht erwähnt wird, das sich am 14.10. alle Dezernenten bis auf Bürgermeister Haag sich aufgrund einer Klausursitzung in Quarantäne begeben müßen oder das Oberbürgermeister Horn in Selbstisolation war.

SPD und FDP Äußern sich zu Außenbewirtung, die CDU zum Eissport und Halle, die Grünen zu barrierefreien Webseiten und Gemeinderat per Video, die Freien Wähler zum Weihnachtsmarkt.

Ab Mitte September steigen die Zahlen wieder, zunächst langsam und dann ab Anfang Oktober exponentiell. Quelle Der Abfall am Ende kann durch ein Übermittlungsfehler beim Gesundheitsamt verursacht sein.

Zu Beginn des Novembers beschließen die Ministerpräsidenten nach längerem Hickhack und einer entnervten Angela Merkel verstärkte Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Dafür gibt es dann im Amtsblatt vom 6. November eine ganze Titelseite. Oberbürgermeister Horn ruft zu solidarischem Verhalten auf: „Wir müssen mit allen Mitteln die Überlastung der Kliniken und Intensivstationen verhindern sowie die Älteren und die Risikogruppen schützen.“ Der Schutz der eigenen Bürgermeister gelingt der Stadt Freiburg schon mal nicht: Am 25.10 teilt diese per Pressemitteilung mit Baubürgermeister Haag habe Corona. Konkret bedeuteten die Einschränkungen des öffentlichen Lebens: Museen, Theater, Bäder, Schauinslandbahn, Mundenhof sind zu, Stadtbibliothek, Schulen normal offen, Kindergärten geöffnet und Sport nur zu zweit. Bis Mitte November schein dies in Freiburg auch zu wirken.

Bei den Grünen will man Vorrang für den Fußverkehr, und Städtepartnerschaften überdenken. Die CDU „stärkt dem Gemeindevollzugsdienst den Rücken“, die FDP will digitale Sitzungen, die Freien Wähler sind gegen höhere Parkgebühren und die AfD wettert gegen Maskenpflicht.

Amtsblatt vom 6.11.

Am 20. November ist Corona eigentlich kein Thema mehr, es gibt die übliche Hinweis Seite für Wohnungslose Menschen vor Weihnachten, sonst sind Wohnraum und Stadion größere Themen. Die Grünen machen ein Webinar zu digitale Bildung, JUPI Fordert Hilfen für Pop- und Subkultur, die SPD redet über Verkehrswende, die FDP von der Eishalle, ESFA von Obdachlosen. Die AfD hetzt.

Das vorletzte Amtsblatt diesen Jahres erscheint am 4. Dezember, es hat auf der Titelseite das Impfzentrum in der Messe. Und einen Artikel über die Coronabedingte Belastungen des Haushalts von 17 Millionen Euro. Dann gibt es noch eine ganze Seite über den kommenden Haushalt, der gerade eingebracht wurde und über die Eröffnung der Stadtbahnlinie Richtung Messe, sowie einen kleinen Hinweis auf ein Buch zu ‚300 Jahren Gespenster in Freiburg‘.

4.12.

Die Grünen schlagen eine neue Umweltbürgermeisterin vor, Die Freienwähler beschweren sich über den abgesackten Weihnachtsmarkt, War SPD und Kulturliste herrscht Kulturnotstand (!) Und die FDP bemängelt Das ein Video Stream aus Sitzungen immer noch nicht möglich sei.

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Die Toten als Thema

Die letzte Ausgabe des Jahres erscheint mit der Nummer 782 am 18. Dezember. Gleich auf Seite eins gibt es einen Artikel über den „harten Lockdown“: Ausgang nach 20:00 nur mit wichtigem Grund, Läden des täglichen Bedarfs bleiben offen, Kitas und Schulen bis 10.1. geschlossen. Im Ton mehr oder weniger unbeschwert erklärt uns der Oberbürgermeister das 2020 nicht so gelaufen ist wie sich das die Meisten vorgestellt hatten, man jetzt aber nach vorne blicken müsse und „es steht weniger Geld zur Verfügung als in den Vorjahren. Umso wichtiger ist es, klare Prioritäten und Schwerpunkte zu setzen“ und „Schreiben Sie einen Brief ins 22. Jahrhundert“, außerdem seien doch alle zum digitalen Neujahrsempfang eingeladen. Dem Amtsblatt liegt eine spannende 20-Seitige Beilage zum Stadtjubiläum bei.

Nr. 782

Die Grünen bedanken sich, weisen auf einen neuen Newsletter hin und auf die Verkehrswende:. „daher Danke sagen: allen Mitarbeitenden im Gesundheitssystem (…) Mitarbeitern der Stadtverwaltung (…) allen sozialen Einrichtungen (…) der kritischen Infrastruktur – von der Erzieherin bis zum Einzelhandel. (…) Nutzen Sie daher bitte die Weihnachtseinkäufe, um die zu unterstützen, die besonders von Corona getroffen sind (…) die Kultur- und Eventszene (…) Restaurants und die (…) lokalen Händlerinnen“ . In der Rhetorik der Grünen, aber auch vieler anderer Fraktionen sind die besonders Betroffenen von Corona nicht die Toten, deren Angehörige, diejenigen die schwer erkrankt sind, sondern eben Menschen die wirtschaftlich betroffen sind.

Auch bei der CDU ist es ähnlich. Zunächst wird errinnert, dass man die Autofahrer nicht vergessen darf und formuliert: „Auch wenn große Onlinehändler mit Angeboten locken, sollten wir an Weihnachten die Leidtragenden in unserer Stadt nicht vergessen“, eine christliche Partei thematisiert die Leidtragenden in der Corona Krise und das sind nicht die Kranken oder Angehörigen der Toten, sondern der Einzelhandel. JUPI findet Digitalisierung wichtig und frag nach der Rolle des von der Stadt eingerichteten sozialen Netzwerks. Eine Stadt für Alle schaut auf ein erfolgreiches Jahr zurück und die SPD beklagt dass bei der Eishalle Nix läuft. Die AfD zitiert Fontane.

Und zum ersten Mal erscheinen die Freiburger Corona Toten überhaupt im Amtsblatt, im Fraktionsbeitrag der FDP: „Am deutlichsten jedoch zeigen es uns hier in Freiburg die rund 100 Freiburgerinnen und Freiburger, die Stand heute als direkte Konsequenz des Virus nicht mehr unter uns sind. Fern von der Abstraktion von R-Werten und Inzidenzraten gilt es, den Verstorbenen zu gedenken, den Betroffenen beizustehen, und alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit nicht noch mehr Menschen Freunde und Angehörige an Covid-19 verlieren. Dafür ist der neuerliche Lockdown eine unumgängliche Notwendigkeit.“

Das zitiere ich vollständig, weil es die einzige Erwähnung der bisher in Freiburg an Corona verstorbenen ist und auch gefühlt eine Wende in der Rhetorik der FDP, die vorher immer für Öffnungen plädiert hat. Vielleicht habe ich es übersehen, aber kein anderer Beitrag im Amtsblatt thematisiert die Anzahl der Toten oder ihr Schicksal.

Die 7-Tage-Inzidenz im Stadtkreis Freiburg von der 10. bis zur 48. Kalenderwoche. Quelle

Übrigens scheint die Letalitätsrate, also gemeldete Infektionen auf 100.000 Einwohner bei 2,76% zu liegen, das wäre noch über dem Durchschnitt des schlimmsten Bundeslandes, Sachsen 2,21% und deutlich über dem Bundesdurchschnitt 1,8%.

Fazit

Es gibt zwei Arten von Auswirkungen der SARS-COV-19 Epidemie: Die erster Ordnung, also Menschen stecken sich an, erleben Krankheitssymptome und versterben. Dann gibt es Folgen zweiter Ordnung, weil die Krankheit schlimm ist, reagieren Akteure darauf. Bürger*innen reduzieren Sozialkontakte, Firmen verbieten Geschäftsreisen und verlegen Meetings in Videokonferenzen und „der Staat“ schließt Geschäfte und Einrichtungen bzw. Hygieneregeln. Man könnte einfügen, dies führt wiederum zu Folgen der dritten Ordnung, also um das veränderte Akteursverhalten auszugleichen, reagieren wiederum Bürger*innen (z.b. Aktivismus, Nachbarschaftshilfe, Demos, …), Firmen (anderes Geschäftsmodell, Umstellung der Produktion, Kurzarbeit, …) und der Staat (Hilfen, Kredite, Änderungen in Gesetzen, …)

Fassen wir also die Kommunikation über Corona im Amtsblatt einmal zusammen:

Wer im Grunde nicht vorkommt sind die von Corona betroffenen Menschen. Damit meine ich nicht, die von Schließungen betroffenen, sondern die direkt von der Krankheit betroffenen: Weder werden im Amtsblatt Statistiken über die Anzahl der Erkrankten oder Toten genannt, auch nicht als in Freiburg das Standesamt auf BZ Recherche eine Übersterblichkeit feststellt, noch werden exemplarisch einzelne Schicksale bedacht. Die Erkrankung des Leiters der Abfallwirtschaft, welche auch von Martin Horn in sozialen Medien thematisiert wurde, hätte ja dazu Gelegenheit geboten.

Beim Diskurs im Amtsblatt geht es fast nur um die Folgen der „Dritten Ordnung“, überwiegend um die Bewältigung der Krise für Kultur, ÖPNV und Schankwirtschaft, selten um Maßnahmen (also zweiter Ordnung) und wenn dann nur um deren Aufhebung und eigentlich nie um Kranke und Verstorbene (erste Ordnung).

Was noch schwerer wiegt aus meiner Sicht: Es fehlt spätestens im Sommer als das Virus und seine Verbreitung relativ gut verstanden wurden, Informationen wie man sich schützen kann, wie man an einem Corona Test kommt oder auch ein deutlicher Aufruf die Corona-Warn-App zu installieren. Der einzige Präventionsartikel (!) aus dem Februar (!!) ist überholt.

Würde man sich nur aus dem Amtsblatt der Stadt Freiburg informieren, was vielleicht Menschen tun die sonst keinen Zugang zu Medien haben, dann würde man zwar alles wissen über Spartenstiche, neue Baugebiete, die Bürgerbeteiligung beim Haushalt oder auch den neuen Flächennutzungsplan, aber nichts über Prävention von Ansteckung oder wo man etwa günstige und gescheite FFP2 Masken her bekommt.

Krisenbewältigung im Sinne von Infektionsvermeidung und wie man das schaffen könnte, wird nicht diskutiert, lediglich die Folgen von Schließungen. Wenn überhaupt, es scheint eher als ob die Fraktionen die direkte Coronapolitik, also nicht den Umgang mit den Folgen der Schließungen, sondern Verhinderung von Infektionen nicht bearbeiten wollten.

Frauen werden eher krank, sterben aber weniger am Corona Virus in Freiburg. Quelle

Und dann wäre da noch die Genderpolitische Dimension, die auch die Frauenliste, die Kontaktstelle Frau und Beruf oder die Freiburger Frauenbeauftragte bisher nicht thematisieren: Frauen scheinen sich deutlich häufiger mit Corona zu infizieren, als Männer und Frauenberufe haben höhere Fehlzeiten durch Corona.

Auch die Kinderpolitischen und Jugendinstitutionen sind seltsam stumm. Kinder kommen im Grunde gar nicht vor, es gibt auch keine besonderen Beteiligungs- oder Informationsangebote für Kinder und Jugendliche. Wenn sie thematisiert werden, dann nur als mögliche Infektionsquellen.

Mein Wunsch wäre, den Anspruch den Martin Horn im März formuliert hat zu folgen: „Die Lage ist ernst. Lassen Sie uns daher gemeinsam alles tun, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen„. Aber lasst uns wirklich alles tun um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Für mich würde dazu eine umfassende Informations- und Aufklärungskampange zählen.

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