Lügen, Bullshiting und Politiksimulation als Antwort auf erheizte Gemüter

„Zwar hat es vermutlich nie eine Zeit gegeben, die so tolerant war in allen religiösen und philosophischen Fragen, aber es hat vielleicht auch kaum je eine Zeit gegeben, die Tatsachenwahrheiten, welche den Vorteilen oder Ambitionen einer der unzähligen Interessengruppen entgegenstehen, mit solchem Eifer und so großer Wirksamkeit bekämpft hat.“ – H. Arendt Wahrheit und Politik. Berlin 2006, S. 20.

Im Zusammenhang mit den Ereignissen rund um die Kundgebung am Montag im Grunde drei Arten von medial-politischen Lügen untergekommen sind: Die vorgeskriptete Story, die liederliche Lüge, die dreiste Lüge und die Politiksimulation.

Die geskriptete Story

Die geskriptete Story existiert bereits als Skelett (Soziologen würden sagen als kulturelles Skript) existente Geschichte à la „Stadt in Angst“ mit Fleisch zu füllen. Es gibt bereits ein kulturelles Skript für die Art von „Reportage“, die man als Journalist*in schreiben muß wenn so eine Tat geschieht. Die Geschichte könnte man auch ohne sein Büro in Hamburg, Köln oder Berlin zu verlassen schreiben und eine Reihe von ihnen wird auch ohne Ortstermin geschrieben. Andere fahren zumindest hin um einige Einheimische zu finden.

Etwa bei Spiegel online,Überschrift: Eine Stadt kommt an Grenzen“, Und weiter im Text: „Helfer wirken ratlos, die Behörden überfordert. (…) Bei manchen alteingesessenen Freiburgern bleibt die Angst vor dem Fremden. Die Stadt habe sich seit 2015 verändert, sagen sie. Durch die Gassen würden mehr Betrunkene wanken, viele Frauen joggen nicht mehr allein durch die Parks. Der neue Fall bringt neue Angst.“ Damals bei Maria L. war „Die Abgründe einer vorbildhaften Stadt“.

Zurückhaltender auch in der Süddeutschen Zeitung, unter: „Freiburger Unsicherheit: (…) ebenso groß ist die Unsicherheit, vor allem bei Frauen“.

Traditionell krass, halt die Bild:

Aber auch in der FAZ: „Maria Ladenburger ermordet hat, zu einem Zeitpunkt also, zu dem scheinbar wieder Normalität eingekehrt war (…) Nach dem Mord an der Medizinstudentin vor zwei Jahren seien viele Frauen zu Hause geblieben. „Heute wird mehr darauf geachtet, wie man nach Hause kommt. Viele Frauen fahren nicht mehr allein Fahrrad“

Selbst die Badische Zeitung macht auf Seite Drei mit, wahrscheinlich plant man diesen Artikel auch überregional zu syndikalisieren: Wenn es Nacht wird in Freiburg (…) Nach Monaten der Ruhe – der Mörder der Studentin Maria Ladenburger wurde im April verurteilt – steht der Name der Stadt erneut für eine Schwerkriminalität“

In den Berichten darf dann der Hinweis auf „das Linksliberale Freiburg“ und die „Schwarzwaldidylle“, sowie die ein oder andere Erwähnung einer touristischen Sehenswürdigkeit nicht fehlen.

Die Liederliche Lüge

Eigentlich ist, dass die am wenigstens schlimme Geschichte. Man hat Zeitdruck, überfliegt die Bericherstattung, sieht auch Sachen auf Facebook und schreibt halt was zusammen. Da unterbleibt dann halt auch der Faktencheck und man übernimmt unbewußt Teils die Narrative von rechten Blogs.

Ich werde trotz längerer Erklärungen als Stadtrat, Grünen Politiker dargestellt. Es gibt Clubs die angeblich geschlossen haben und doch offen sind. Ich versuche das richtig zu stellen. Aber selbst hat es für seinen Artikel in der Welt nach einem längeren Telefonat nicht geschafft zu erklären, das ich kein Mitglied der Grünen bin. Das ist durchaus ein Problem auch großer Medien, etwa n-tv oder Neues Deutschland.

Die dreiste Lüge

Das ist die Spezialität rechter Medien und Blogger aus dem AfD Umfeld wie Henryk Stöckel oder David Berger.

Während David Berger einfach mal behauptet ich sei Grünen Politiker und habe zu einer “Demo gegen Rechts” aufgerufen, zwei Aussagen die im besten Fall mit viel Verzicht auf Nuancen unpräzise sind, man könnte auch sagen, bewußte Verdrehungen um die Anhängerschaft zu triggern und für Clicks auf den eigenen Werbefinanzierten Blogs zu sorgen.

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weder war es eine „Demo“, noch „gegen Rechts“, noch bin ich Mitglied der Grünen

Dann gibt es noch Henryk Stöckel, der so dreist lügt, das es sich schon fast an eine Slapstick Komödie erinnert. So behauptet er in einem Facebook Post mit spannender Änderungshistorie, indem er behauptet, einem Polizeibeamten sei durch Angriff eines Antifa Mitglieds, ein Auge ausgeschlagen oder verletzt worden.

Jetzt ist das so eine dreiste Lüge – der die Polizei entscheiden wiederspricht – die ja auch wenn die Polizei lügen würde, auch auffliegen müßte, schließlich gäbe es ein Opfer, Kollegen, Augenzeugen, Menschen im Krankenhaus die das Auge versorgt hätten, etc…

Auch nachdem ihm die Polizei wiedersprochen hat, bleibt er bei dieser Aussage. Die von den eigenen Anhängern dermassen Glaubwürdig aufgenommen wird, das diese auch Genesungswünsche auf der Facebookseite der Polizei hinterlassen.

Politiksimulation

Und dann ist da noch die Politiksimulation, das Vorspielen von politischer Handlung bzw. Handlungsfähigkeit indem man irgendwelche krassen Vorschläge macht um auf die Situation zu reagieren.

Der Meister darin ist Innenminister Strobel, dessen Ministerien sich erst durch unterschiedliche Versionen des Hergangs der Nicht-Verhaftung in Schwierigkeiten gebracht hat und der dann gleich mal neuen, krassen Scheiß forderte oder Versprach aus dem Skript für solche Situationen “mehr Polizei”, “mehr Abschieben”, Videoüberwachung, Sicherheitskonferenz, … Maßnahmen die schon nach dem Mord an Maria L. in Freiburg teilweise eingeführt wurden und die eben genau die jetztige Tag nicht verhindern konnten.

Denn es geht bei diesen Maßnahmen eben nicht um mehr Sicherheit, sondern um mehr gefühlte Sicherheit. Wie auf diesem Wahlplakat der CDU, das ich bereits im Landtagswahlkampf 2016 verballhornerte. Ich zitiere hier nochmal meinen Artikel von damals:

„Obowohl die Quote schwerster und schwerer Straftaten in Deutschland stark zurückgeht – am eindrucksvollsten hier gezeigt an der Mordrate – fühlen sich die Menschen nicht sichrer. Sehr eindrucksvoll erläutert das im DLF Interview Deutschlands renomiertester Kriminologe Christian Pfeiffer. Und erklärt anschaulich wie sich Medienkonsum und Kriminaltiätsfurcht verhalten: „Je mehr die Menschen privates Fernsehen gucken, umso mehr ist ihre Kriminalitätstemperatur, ihre gefühlte Kriminalitätstemperatur von der Wirklichkeit entfernt, weil im Privatfernsehen das Verbrechen noch mehr dämonisiert und dramatisiert wird.“

Klar das in so einem Fall auch kein Aufmerksamkeit erheischender Beitrag von Boris Palmer fehlen darf. Der dann auch gleich als Fachlich wenig fundiert entlarvt wird.

Und damit kommen wir auch zu einer Erklärung, die sich sehr schön für dieses Phänomän beim Philosoph Harry Frankfurt: „Bullshiting“: Bullshitter, wie Frankfurt sie versteht, gerieren sich selbst als Überbringer der Wahrheit, obwohl gerade das nicht ihr Ansinnen ist. Vielmehr sind sie ihrem Wesen nach Blender, die mit ihrer Rede die Einstellungen derer beeinflussen wollen, zu denen sie sprechen“

In diesem Sinne ist viel der politischen Kommunikation, die hier erfolgt einfach Bullshiting um die Leute zu beruhigen und einfache Lösungen auf schwierige Probleme suggerieren.

 

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