Wahlrecht ab 16 und Gehirnentwicklung

Die Landesregierung hat angekündigt das Mindestalter für das aktive Wahlrecht bei der Kommunalwahl von 18 Jahren auf 16 Jahren abzusenken. Zahlreiche Jugendorganisationen, wie die Jusos, der Landesjugendring oder der Dachverband der Jugendgemeinderäte Baden-Württemberg haben in ihren Reaktionen diese Entscheidung begrüßt.

Erstaunlicherweise begann aber dann in den Kommentarspalten einiger Zeitungen, die zu diesem Thema berichteten, empörte Dikussionen: „Wählen ab 16, Auto fahren ab 17, volle Rechte ab 18, aber bis 21 Jugendstrafrecht!“ (Kommentar in der Stuttgarter Zeitung online vom 5.11.2012 11:53)Ähnlich geartete Kommentare finden sich auch unter einem weiteren Artikel der Stuttgarter Zeitung, der zu diesem Thema berichtet.

Ähnliches findet sich auch im Kommentar einer 16 Jährigen BZ Autorin (!) in der Badischen Zeitung: „Mitten in ihrer Selbstfindungsphase sollen diese jungen Leute also wirklich die große Verantwortung übernehmen, mit ihrer Stimme bei einer Bundestagswahl die Geschicke des Landes mitzubestimmen? Das kann es nicht sein.“

Obwohl einige dieser Beiträge durchaus so formuliert sind, das man teilweise auch am Wahlrecht für über 18 Jährige zweifelt, möchte ich dennoch auf dieses Argument eingehen. Eine ähnliche Debatte tobt seit einigen Jahren auch in den USA, wo besonders zwei Gutachten der Amerikanischen Psychologischen Vereinigung (APA) als wiedersprüchlich herangezogen werden. In einem Gutachten zum Fall Roper vs Simmons hat die APA ausgeführt warum, nach ihrer Expertise die Todesstrafe nicht für Verbrecher verhängt werden sollte, die jünger als 18 Jahre sind.

Insbesondere führt die APA in ihrem Gutachten aus:

„At ages 16 and 17, adolescents, as a group, are not yet mature in ways that affect their decision-making.
Behavioral studies show that late adolescents are less likely to consider alternative courses of action, understand the perspective of others, and restrain impulses. Delinquent, even criminal, behavior is characteristic of many adolescents, often peaking around age 18. Heightened risk-taking is also common. During the same period, the brain has not reached adult maturity, particularly in the frontal lobes, which control executive functions of the brain related to decision-making.“

Dafür führt sie sodann eine Reihe von Neurobioglogischen und Sozialpsychologischen Faktoren auf: Die Wahrscheinlichkeit für gefährliches Verhalten (ungschützer Sex, Todesrate, die Wahrscheinlichkeit ein Verbrechen zu begehen) sind alle rund um das 17. Lebensjahr am größten und sinken dann wieder. Einige Studien gingen sogar soweit zu behaupten, dass die Beteiligung an illegalem Verhalten geradezu normativ sei. Während das Verhalten der Peer Gruppe einen sehr großen Einflauss auf die jungen Erwachsenen und Jugendlichen hat.

Gleichzeitig hat die APA aber in einem Gutachten für eine frühereEntscheidung des Amerikanischen Verfassungsgerichts argumentiert, dass Jugendliche bereits ab 14 Jahren in der Lage sind, eigentständig darüber zu entscheiden, ohne ihre Eltern informieren zu müßen, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen wollen oder nicht. (Hodgson vs Minnesota)

Hier führte die APA aus: „[B]y age 14 most adolescents have developed adult-like intellectual and social capacities including specific abilities  outlined in the law as necessary for understanding treatment alternatives, considering risks and benefits, and giving legally competent consent.“

Also während Jugendliche aufgrund ihrer Entwicklung nicht in der Lage sein sollen Handlungen und Entscheidungen ausreichend abzuwägen, die sie zum Begehen eines Verbrechens animieren, sollen sie dazu in der Lage sein nun über Abtreibung oder nicht zu entscheiden. Das wäre zunächst ja mal ein Wiederspruch, oder?

Aber: „Studies that have examined logical reasoning abilities in structured situations and basic information-processing
skills, for instance, have found no appreciable differences between adolescents age 16 and older and adults; any gains
that take place in these domains during adolescence occur very early in the adolescent decade, and improvements after this age are very small (Hale, 1990; Kail, 1997; Keating, 2004; Overton, 1990).“ (Zitat stammt aus dem gleichen Artikel wie oben)

Während also die Entscheidungen ein Verbrechen zu begehen meist spontan, beinflusst von Gleichaltrigen und ohne über die Konsequenzen nachzudenken gefällt werden, so gehen in der Regel Wahlentscheidungen zumindest eine längere Phase des Bewußten oder unbewußten Nachdenkens und der Möglichkeit sich mit unterschiedlichen Personen (Peergroup, Eltern, andere Erwachsene, …) darüber auszutauschen und weitere Informationen einzuholen. Es handelt sich also um einen Prozess bei dem eher die im zweiten Gutachten angesprochenen Argumente zählen würden.

Wenn man also die generelle kognitive Kapazität von 10 bis 30 Jahren misst ergibt sich in etwas das folgende Bild:

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