Antwort auf den Meinungsbeitrag von Lüder Gerken zu Meinungsfreiheit

Sehr geehrter Herr Gerken,

Ich habe ihren Meinungsartikel in der Badischen Zeitung gelesen und würde gerne dazu einiges kommentieren. Ich habe den Eindruck dort werden eine Reihe von Phänomenen – vielleicht aufgrund der Beschränkung im Umfang zusammen geworfen. 

Leserbrief dazu: https://www.badische-zeitung.de/es-gibt-kein-recht-auf-zustimmung

Zum einen geht es um die Störung von Veranstaltungen im (universitären Bereich), durch teils problematische Gruppen, wie Palästina Spricht, zum anderen aber auch um die Diskussion welche Art von Einladungen an Persönlichkeiten in öffentliche Foren angemessen sind. Zuletzt etwa in Freiburg Egon Krenz ins Stadttheater, der dort unkritisch befragt wurde. 

Sie haben dann aber noch ein paar andere Beispiele wo es scheinbar nicht um Ausladen geht, sondern um kommentieren: 

„Kritiker der queeren Geschlechtlichkeitsvorstellung werden pauschal als „transphob“ bezeichnet, Kritiker der Anthropogenität des Klimawandels als „Klimaleugner“, Kritiker der Flüchtlingspolitik als „Rassisten“ und Kritiker des Genderns als „Chauvinisten“.”

Sie nenne vier Punkte, von denen sie aus meiner Sicht wenig differnzieren. Es wird ja auch nicht klar was sie mit „queeren Geschlechtlichkeitsvorstellung” meinen. Vielleicht wäre da ein Gespräch etwa mit ihrer Kollegin Prof. Degele angemessen. 

Aber lassen sie mich kurz ausholen, anläßlich der Kommunalwahl war ich bei einer Diskussionsveranstaltung für Bürger:innen und Kandiderende in Bürgerhaus Zährigen. Unter anderem saß ich an einem Tisch, bei dem das Thema “Meinungsfreiheit” vorgeben war. Dort raunten – so muß ich es zusammenfassen, denn eine klare Position oder selbst ein Satz im engeren Sinne war es nicht, die die beiden Damen sagten zum Thema Meinungsfreiheit. Im Grunde liess sich das zusammenfassen was sie sagten mit “Man darf ja heute nicht mehr alles sagen was man denkt.”

Ich und Simon Bockstaler, fragten ganz ruhig nach: Was man den nicht sagen dürfe, am Tisch saß auch Herr Hauser von der Badischen Zeitung. Es wurde relativ schnell klar das es nicht um die Leugnung des Holocaust ging. 

Darauf konnten sie uns zunächst keine Antwort geben. Herr Bockstaler spiegelte, dass dann – das war seine Rolle – “hier sagen zwei Frauen, dass man bestimmte Dinge nicht sagen darf, aber sie können nicht sagen welche das sind.” Darauf äußerten beide: “ja so mit den Transen und Frieden”.

Das fand ich sehr spannend. Zum einen erlebe ich dass seit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die gesammte Ukraine in Deutschland sehr umfassend über “Frieden” und wie dieser zu schaffen sei diskutiert wird. Dabei werden in Leitartikeln, Talkshows, Leserbriefen, etc… sehr unterschiedliche Meinungen und auch Einschätzungen der Situation geäußert. Die reichen vom einen über die Wiedergabe von kremelnahnen Narrativen – wie etwa bei Sarah Wagenknecht, krassen Fehleinschätzungen der militärischen Lage – wie bei Ex-Generalen Vlad und Kujat –  bis hin zu Stimmen die Waffenlieferungen stark befürworten (Politiker der Grünen, Wissenschaftler wie Claudia Major). 

Was dabei auffällt, ist aber das eine Reihe von Experten, die sich durch wiederholte Fehleinschätzungen disqualifiziert haben, nicht mehr eingeladen werden. Das halte ich aber für einen gesunden Mechanismus des Mediensystems. Auch wenn es etwa aufgrund der Art wie wir Talkshows im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen organisieren, eine Deformation des Meinungsspektrum und der Gäste gibt. Es ist mir etwa wenig verständlich, wenn Jan-Joseph Liefers, der als Schauspieler weder besonders qualifiziert ist, sondern eher als Protagonist einer – aus meiner Sicht die Opfer von Corona verhöhnenden Kampagne “alles Dichtmachen“ auffiel – eingeladen wird um die Coronamaßnahmen aufzuarbeiten. 

Zurück ins Bürgerhaus, was ich aber an dem Abend nicht hörte, war Kritik an der Vorstellung, das Geschlecht eine performative Leistung ist und eben nicht biologisch vordefiniert und unveränderlich. Bei näherem Fragen stellte sich heraus: Es ging um eine mehr oder weniger schwer definierte Angst auf einer Toilette einer Transfrau zu begegenen und dort irgendwie sexuell belästigt zu werden. Gleichzeitig erwähnten beide aber, in ihrem Leben keinerlei Einschränkungen oder Veränderungen durch Transpersonen zu bemerken oder solche zu kennen oder das gar erlebt zu haben. 

Spannend finde ich den zweiten Punkt: „Kritiker der Anthropogenität des Klimawandels als „Klimaleugner“ – die Tatsache, das wir gerade die ersten 1,5° der Menschengemachten Erderhitzung erleben – mit bereits jetzt dramatischen Folgen, auch für das Wirtschaftsleben, wird außer von einer sehr sehr kleinen Minderheit, fachlich kaum zurechnbarer Personen – Wissenschaftler will ich sie nicht nennen – nicht bestritten und es lassen sich deutliche und handfeste Beweise dafür finden. Wenn jemand das also bestreitet, dann darf ich ihn auch als solchen bennen. Ja das ist sogar die Aufgabe einer Person, eines Journalisten oder Experten um für Klarheit in der öffentlichen Debatte zu sorgen.

Es wird ja auch ein Schuh daraus um es mal krass zu sagen: Wenn ich ständig Nazi Inhalte vertrete – Rassenhass, Sozialdarwinismus, Judenfeindlichkeit – dann darf man mich halt auch Nazi nennen auch wenn ich das für mich ablehne. 

Spannend ist auch, dass sie das einen Hinweis einflechten „Aufrufe zum Boykott”.
Für mich sehr eingängig ist das Beispiel der Kabarettistin Lisa Eckhardt: Lisa Eckhards Bühnenprogramm besteht in Variationen aus einer Reihe von Witzen über Sterotype über Minderheiten, teils Chinesen, Juden und andere. Das kann man lustig finden. Man kann auch finden, dass solche Witzen nicht angemessen sind – grundsätzlich oder das sie nicht angessen sind im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verbreitet zu werden. Darum gab es eine Diskussion, da sich insbesondere Minderheiten – die Zielscheiben dieser Witze – angegriffen und herabgesetzt fühlten. Trotz deren Protest und Diskussion tritt Frau Eckhart weiterhin, auch im Fernsehen auf. 

Meinungsfreiheit besteht eben nicht, darin unwidersprochen alle möglichen Dinge sagen zu dürfen und dafür auch noch Zustimmung zu finden. Sie besteht genauso in der Widerrede und auch im Aufruf nicht zu einer Veranstaltung zu gehen oder auch bestimmte Positionen nicht auf Podien vertreten zu lassen.

Vielmehr habe ich den Eindruck, dass eine Reihe von Autoren beklagt nicht mehr ungehindert rassistische, frauenfeindliche und menschenfeindliche Positionen vertreten zu können ohne dass sie Angst haben, auch als solche benannt zu werden. 

Leider ist ja gerade nicht so dass sich das Overton Window der sag baren Dinge verkleinert hätte – nein durch 10 Jahre AfD und so, darf man nun eine ganze Reihe von Dingen äußern, die sagen wir mal 2004 nicht akzeptabel gewesen wären. Das ist nicht gut.

mit freundlichen Grüßen

(Antwort bags bisher keine)

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