Wahlplakatschlacht from Hell – Martin Fuchs im Interview zum Freiburger Wahlkampf

Eine Obergrenze für Wahlplakate wurde diskutiert, aber unter anderem auf Wiederspruch von Freiburg Lebenswert verworfen

Martin Fuchs ist Politik- und Digitalberater und berät Regierungen, Parlamente, Parteien, Politiker*innen und Verwaltungen in digitaler Kommunikation. Außerdem hat er  in seinem Blog „Hamburger Wahlbeobachter“ vor einigen Jahren die  Kategorie „Wahlplakate from Hell“ erfunden, in der er skurrile und kreative Plakate sammelt und kuratiert. Die aktuelle Sammlung findet ihr hier: http://bit.ly/ep2019kommunal

In Freiburg kandidieren ca. 820 Personen auf 18 Listen für den Gemeinderat. Im Vorfeld konnte man sich, auch wegen Freiburg Lebenswert, nicht auf eine Obergrenze von 1000 Plakaten pro Gruppierung einigen. Alle Gruppierungen hängen Plakate. Manche mehr, manche weniger.

Frage: Wie kann man in so einem unübersichtlichen Feld die Bürger überhaupt erreichen, oder führen mehr Plakate einfach nur zu mehr Politikerverdrossenheit?

Antwort: Prinzipiell sind mehr Plakate, die eine größere Streuung ermöglicht z.B. in Gebieten wo sonst wenig Politik stattfindet gut, weil die wichtigste Funktion von Plakaten ist, Wähler*innen zu informieren und zu sensibilisieren, das bald wieder Wahlen sind. Da sich aber viele Kandidierende und Parteien auf die Plätze fokussieren, wo sie hoffen möglichst viele Bürger*innen zu erreichen, wird das natürlich konterkariert. Ich habe noch nie einen Wähler*in gesehen, die vor einer Laterne mit 10 Plakaten stand und sich alle wirklich angesehen hat. Ich glaube eher, das wirkt wie analoger Spam, um den man einen großen Bogen macht und die Bürger*innen abschreckt.  

Frage: Wenn ich auf Platz 22 von 48 irgendeiner Liste bin, bringt dann überhaupt Wahlkampf für mich, also mit Kopfplakaten, etwas? Oder ist das dann mehr Egotrip.

Antwort: Kommunalwahlen sind klassische Persönlichkeitswahlen. Man wählt den/die Politiker*in die man (im besten Fall persönlich) kennt und wegen der vorhandenen Beziehung vertraut und schätzt,  Sollte es Kandidat*innen geben, die in der Stadt eine gewisse Bekanntheit haben, aber keinen guten Listenplatz erkämpfen konnten, dann kann ein Kopfplakat durchaus Sinn machen. Immer natürlich vor der Hintergrund man hat die finanziellen Ressourcen.

Wahlplakat der Freien Wähler in Freiburg

Frage: Die Freien Wähler haben ausschließlich Sprüche in badischer Mundart auf ihren Plakaten. Kann das funktionieren in einer Stadt in der jedes jahr 20.000 Menschen weg- und zuziehen?

Antwort: Sprache ist immer auch Identität. Und das Thema Heimat, Tradition und lokale Verankerung wird in der globalisierten Welt ja immer wichtiger. Zudem habe ich den Eindruck, dass sich auch Zugezogene in Freibug sehr schnell mit der Stadt identifizieren und den Lokalkolorit lieben. Die Freien Wähler werden ihre Zielgruppen im Voraus genau analysiert haben, die Ur-Freiburger*innen werden die Mundart sympathisch finden und die die das nicht verstehen, gehören ggf. auch gar nicht zur Zielgruppe der Freien Wähler. Immerhin rede man über die Plakate, damit hat die Ebtscheidung zur Mundart schon mal den Effekt, das die Freien Wähler – wie hier im Interview – Gesprächsthema sind, da hilft denen also auf jeden Fall.

die 26 Motive von Freiburg Lebenswert beim Plakatierer. Er hat sie mal auf die Plakate der Liste Teilhabe und Inklusion gestellt.

Frage: Freiburg Lebenswert hat 26 Motive. Was bringt das?

Antwort: Migrotargeting, also das gezielte Ausspielen von Positionen an sehr konkrete und kleine Zielgruppen kennen wir in den letzten Jahren vorallem aus dem digitalen Wahlkampf.  Wenn man es schafft bestimmte lokale Eigenheiten aufzugreifen und mit der Vielzahl der Plakatmotive Wähler*innen in ihrer Nachbarschaft auch analog anzusprechen, finde ich das smart. Wenn es allerdings nur 26 verschiedene Köpfe und Themen sind die wahllos in Freiburg aufgehängt werden, wird es wohl eher zu einer Verwässerung der wichtigen Positionen führen und wenig Erfolg haben.

Frage: Eine Reihe von Gruppierungen hat Anti AfD Plakate. Bringt das was oder soll man das lieber lassen und etwa die regelwiedrig hängenden Plakate dem Ordnungsamt melden? Die Grünen sogar einen Werbespot, damit.

Antwort: Der kreative und dialogische Umgang mit den Wahlplakaten des politischen Gegners hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Ich sehe hier, wie stark die Netzkultur auch die analoge Wahlkampfkommunikation beeinflusst. Spannend. Alle Reaktionen z.B. Anti-AfD dienen zur Mobilisierung der eigene Kern-Wählergruppe und sollen diese ansprechen, nicht die AfD- und ihre Wähler*innen. Selbstverständlich wertet man diese damit auch auf weil man sich ja mit deren Positionen auseinandersetzt und die Kraft und Ressourcen nicht dafür nutzt seine Positionen aktiv und positiv zu kommunizieren. Ich bin da zwiegespalten. Temporäte kleine Aktionen – die dann auch online viral gehen können wie bei den Grünen –   finde ich sehr gut, aber nicht die flächendeckende Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner z.B. mit eigenen Motiven, die breit gehängt werden.

Plakate der Grünen Jugend in Englisch

Frage: Bei den Grünen gibt es Plakate der Grünen Partei und der Grünen Jugend. Ist das sinnvoll? Und macht es Sinn instagram Links drauf zudrucken? Und machen Wahlplakate auf Englisch Sinn?

Antwort: Was Sinn macht hängt immer vom konkreten Ziel eines einzelnen Plakates ab und von seiner Einbettung in die Gesamtkampagne, Eigene Plakate der Grünen Jugend können durchaus Sinn machen, wenn man als Organisation einen hohen Bekanntheits- und Mobilsierungsgrad z.B. bei jungen Wähler*innen hat, die sich mit der Grünen Jugend mehr identifizieren als mit der Partei. Auf englisch finde ich jetzt auch nicht so falsch, gerade weil bei EU- und Kommunalwahlen im Gegensatz zur Bundes- und Landtagswahlen ja auch EU-Ausländer, die in Freiburg wohnen wahlberechtigt sind. Den Hinweis zu Social Media kann man sich langsam sparen, mittlerweile sind alle relevanten Akteure dort vertreten, die Wähler*innen werden sie auch digital finden. Was sie allerdings nicht machen werden, dem Medienbruch folgen und den Link vom Plakat ablesen in ihr Smartphone tippen, hier würde ich mir eher kreative Idee z.B. mit QR-Codes oder Shazam wünschen, die Leute motivieren mit den Plakaten zu interagieren. Mehr Dialog wagen 😉

Auch Urbanes Freiburg bildet Rollstuhlfahrer ab

Frage: In Freiburg tritt eine Liste Teilhabe und Inklusion an – auf der auch ich kandidiere – zudem haben zahlreiche Listen  Menschen im Rollstuhl oder mit anderen Motiven Richtung Inklusion plakatiert. Verändert das Auftreten einer solchen Liste schon den Diskurs? Ist das ähnlich wie wenn AfD Plakate hängen und man denkt, man müße sich jetzt zu deren Themen positionieren?

Antwort: Das finde ich eine spannende Überlegung. Wenn „Menschen im Rollstuhl“ mit einer größeren Selbstverständlichkeit in der Kommunikation auftauchen verändert das auf jeden Fall die Sicht auf  diese Minderheit. Und die Wahrnehmung der Gruppe als normalen Teil der Stadtbevölkerung. Das es politische Mitbewerber zudem motiviert sich im Wahlkampf zu positionieren, glaube ich allerdings weniger. Es wird ja einen Grund geben warum man sich dieser Zielgruppe nicht angenommen hat. Aber auf lange Sicht kann das schon den Diskurs um die Interessen dieser Gruppen im Stadtrat ändern. Im Sinne der Rollstuhlfahrer und einer positiven Sicht auf Inklusion. 

Tom Brane sprayt ein Wahlpakat für die Liste Teilhabe und Inklusion

Frage: Die Liste Teilhabe und Inklusion, auf der ich auch kandidiere, hat sich ein Großplakat sprayen lassen. Wirkt das mehr als 10 normale Großplakate?

Antwort: Die Aktion schafft auf jeden Fall auch mediale Aufmerksamkeit und bringt deshalb mehr als ein normales Plakat. Ob es nun 10 Mal mehr oder 50 Mal mehr ist, müsste man messen, aber das ist schwer bis unmöglich.  In der Street Art-affinen Zielgruppe wird es aber definitiv Sympathiepunkte bringen, auch wenn dort einige Wähler*innen dabei sein werden die es komplett ablehnen werden, weil es aus deren Sicht eine übergriffige Vermischung von Street-Kutur und Politik ist, unabhängig von den Inhalten der Liste.

Pastorenliste

Frage: Und zu guter Letzt, wie viele Pastoren müssen auf einer Liste sein, damit es eben nicht heißt #Wahlplakatefromhell?

Antwort: Ich finde Für Freiburg hat da schon gut vorgelegt. Aber ab 3 Pastoren ist es dann wieder „to much“ für ein Plakat, das es wieder „to hell“ wird. Trotz himmlichen Segens 😉

Sebastian Müller: Amen und Danke für das Interview

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