Das Amtsblatt der Stadt Freiburg in der Coronakrise: Verpasste Chancen zur Krisen-Kommunikation, fehlende Tote, oder wer ist besonders von Corona getroffen?

Die Toten als Thema

Die letzte Ausgabe des Jahres erscheint mit der Nummer 782 am 18. Dezember. Gleich auf Seite eins gibt es einen Artikel über den „harten Lockdown“: Ausgang nach 20:00 nur mit wichtigem Grund, Läden des täglichen Bedarfs bleiben offen, Kitas und Schulen bis 10.1. geschlossen. Im Ton mehr oder weniger unbeschwert erklärt uns der Oberbürgermeister das 2020 nicht so gelaufen ist wie sich das die Meisten vorgestellt hatten, man jetzt aber nach vorne blicken müsse und „es steht weniger Geld zur Verfügung als in den Vorjahren. Umso wichtiger ist es, klare Prioritäten und Schwerpunkte zu setzen“ und „Schreiben Sie einen Brief ins 22. Jahrhundert“, außerdem seien doch alle zum digitalen Neujahrsempfang eingeladen. Dem Amtsblatt liegt eine spannende 20-Seitige Beilage zum Stadtjubiläum bei.

Nr. 782

Die Grünen bedanken sich, weisen auf einen neuen Newsletter hin und auf die Verkehrswende:. „daher Danke sagen: allen Mitarbeitenden im Gesundheitssystem (…) Mitarbeitern der Stadtverwaltung (…) allen sozialen Einrichtungen (…) der kritischen Infrastruktur – von der Erzieherin bis zum Einzelhandel. (…) Nutzen Sie daher bitte die Weihnachtseinkäufe, um die zu unterstützen, die besonders von Corona getroffen sind (…) die Kultur- und Eventszene (…) Restaurants und die (…) lokalen Händlerinnen“ . In der Rhetorik der Grünen, aber auch vieler anderer Fraktionen sind die besonders Betroffenen von Corona nicht die Toten, deren Angehörige, diejenigen die schwer erkrankt sind, sondern eben Menschen die wirtschaftlich betroffen sind.

Auch bei der CDU ist es ähnlich. Zunächst wird errinnert, dass man die Autofahrer nicht vergessen darf und formuliert: „Auch wenn große Onlinehändler mit Angeboten locken, sollten wir an Weihnachten die Leidtragenden in unserer Stadt nicht vergessen“, eine christliche Partei thematisiert die Leidtragenden in der Corona Krise und das sind nicht die Kranken oder Angehörigen der Toten, sondern der Einzelhandel. JUPI findet Digitalisierung wichtig und frag nach der Rolle des von der Stadt eingerichteten sozialen Netzwerks. Eine Stadt für Alle schaut auf ein erfolgreiches Jahr zurück und die SPD beklagt dass bei der Eishalle Nix läuft. Die AfD zitiert Fontane.

Und zum ersten Mal erscheinen die Freiburger Corona Toten überhaupt im Amtsblatt, im Fraktionsbeitrag der FDP: „Am deutlichsten jedoch zeigen es uns hier in Freiburg die rund 100 Freiburgerinnen und Freiburger, die Stand heute als direkte Konsequenz des Virus nicht mehr unter uns sind. Fern von der Abstraktion von R-Werten und Inzidenzraten gilt es, den Verstorbenen zu gedenken, den Betroffenen beizustehen, und alles in unserer Macht Stehende zu tun, damit nicht noch mehr Menschen Freunde und Angehörige an Covid-19 verlieren. Dafür ist der neuerliche Lockdown eine unumgängliche Notwendigkeit.“

Das zitiere ich vollständig, weil es die einzige Erwähnung der bisher in Freiburg an Corona verstorbenen ist und auch gefühlt eine Wende in der Rhetorik der FDP, die vorher immer für Öffnungen plädiert hat. Vielleicht habe ich es übersehen, aber kein anderer Beitrag im Amtsblatt thematisiert die Anzahl der Toten oder ihr Schicksal.

Die 7-Tage-Inzidenz im Stadtkreis Freiburg von der 10. bis zur 48. Kalenderwoche. Quelle

Übrigens scheint die Letalitätsrate, also gemeldete Infektionen auf 100.000 Einwohner bei 2,76% zu liegen, das wäre noch über dem Durchschnitt des schlimmsten Bundeslandes, Sachsen 2,21% und deutlich über dem Bundesdurchschnitt 1,8%.

Fazit

Es gibt zwei Arten von Auswirkungen der SARS-COV-19 Epidemie: Die erster Ordnung, also Menschen stecken sich an, erleben Krankheitssymptome und versterben. Dann gibt es Folgen zweiter Ordnung, weil die Krankheit schlimm ist, reagieren Akteure darauf. Bürger*innen reduzieren Sozialkontakte, Firmen verbieten Geschäftsreisen und verlegen Meetings in Videokonferenzen und „der Staat“ schließt Geschäfte und Einrichtungen bzw. Hygieneregeln. Man könnte einfügen, dies führt wiederum zu Folgen der dritten Ordnung, also um das veränderte Akteursverhalten auszugleichen, reagieren wiederum Bürger*innen (z.b. Aktivismus, Nachbarschaftshilfe, Demos, …), Firmen (anderes Geschäftsmodell, Umstellung der Produktion, Kurzarbeit, …) und der Staat (Hilfen, Kredite, Änderungen in Gesetzen, …)

Fassen wir also die Kommunikation über Corona im Amtsblatt einmal zusammen:

  • die Stadt erklärt was verboten ist, was geschlossen wird und auch was wieder aufmacht.
  • Der Oberbürgermeister äußert sich besorgt um den Haushalt und appelliert sich an Regeln zu halten, lokal einzukaufen und wird gezeigt wie er Menschen die helfen zuschaut.
  • Die Fraktionen sprechen über Hilfsprogramm für Kultureinrichtungen und die Schankwirtschaft.
  • Im Frühjahr dringen einige Gruppen auf Lockerungen andere fordern mehr Digitalisierung.
  • Fraktionen nutzen die Coronakrise um Anliegen die sie sowieso haben voranzutreiben: Die Grünen etwa mehr Fahrradwege – weil die Menschen ja nun mehr Rad fahren oder die Freien Wähler Schlagstöcke für den Ordnungsdienst – weil ja wegen Corona mehr junge Menschen draußen aggressiv seien.

Wer im Grunde nicht vorkommt sind die von Corona betroffenen Menschen. Damit meine ich nicht, die von Schließungen betroffenen, sondern die direkt von der Krankheit betroffenen: Weder werden im Amtsblatt Statistiken über die Anzahl der Erkrankten oder Toten genannt, auch nicht als in Freiburg das Standesamt auf BZ Recherche eine Übersterblichkeit feststellt, noch werden exemplarisch einzelne Schicksale bedacht. Die Erkrankung des Leiters der Abfallwirtschaft, welche auch von Martin Horn in sozialen Medien thematisiert wurde, hätte ja dazu Gelegenheit geboten.

Beim Diskurs im Amtsblatt geht es fast nur um die Folgen der „Dritten Ordnung“, überwiegend um die Bewältigung der Krise für Kultur, ÖPNV und Schankwirtschaft, selten um Maßnahmen (also zweiter Ordnung) und wenn dann nur um deren Aufhebung und eigentlich nie um Kranke und Verstorbene (erste Ordnung).

Was noch schwerer wiegt aus meiner Sicht: Es fehlt spätestens im Sommer als das Virus und seine Verbreitung relativ gut verstanden wurden, Informationen wie man sich schützen kann, wie man an einem Corona Test kommt oder auch ein deutlicher Aufruf die Corona-Warn-App zu installieren. Der einzige Präventionsartikel (!) aus dem Februar (!!) ist überholt.

Würde man sich nur aus dem Amtsblatt der Stadt Freiburg informieren, was vielleicht Menschen tun die sonst keinen Zugang zu Medien haben, dann würde man zwar alles wissen über Spartenstiche, neue Baugebiete, die Bürgerbeteiligung beim Haushalt oder auch den neuen Flächennutzungsplan, aber nichts über Prävention von Ansteckung oder wo man etwa günstige und gescheite FFP2 Masken her bekommt.

Krisenbewältigung im Sinne von Infektionsvermeidung und wie man das schaffen könnte, wird nicht diskutiert, lediglich die Folgen von Schließungen. Wenn überhaupt, es scheint eher als ob die Fraktionen die direkte Coronapolitik, also nicht den Umgang mit den Folgen der Schließungen, sondern Verhinderung von Infektionen nicht bearbeiten wollten.

Frauen werden eher krank, sterben aber weniger am Corona Virus in Freiburg. Quelle

Und dann wäre da noch die Genderpolitische Dimension, die auch die Frauenliste, die Kontaktstelle Frau und Beruf oder die Freiburger Frauenbeauftragte bisher nicht thematisieren: Frauen scheinen sich deutlich häufiger mit Corona zu infizieren, als Männer und Frauenberufe haben höhere Fehlzeiten durch Corona.

Auch die Kinderpolitischen und Jugendinstitutionen sind seltsam stumm. Kinder kommen im Grunde gar nicht vor, es gibt auch keine besonderen Beteiligungs- oder Informationsangebote für Kinder und Jugendliche. Wenn sie thematisiert werden, dann nur als mögliche Infektionsquellen.

Mein Wunsch wäre, den Anspruch den Martin Horn im März formuliert hat zu folgen: „Die Lage ist ernst. Lassen Sie uns daher gemeinsam alles tun, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen„. Aber lasst uns wirklich alles tun um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Für mich würde dazu eine umfassende Informations- und Aufklärungskampange zählen.

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