Katrin Simon auf Kundgebung: wir müßen über sexualisierte Gewalt und problematische Geschlechterrbilder sprechen

Am Montag habe ich zu einer Kundgebung auf den Platz der alten Synagoge aufgerufen: „Ich bin für den Schutz von Frauen (und Männern) gegen jede Art des sexualisierten Gewalt oder Übergriffs“, aber auch gegen den Versuch das Opfer ein zweites mal zu mißbrauchen für die politischen Anliegen einer Partei. Über 300 Menschen folgten diesem Aufruf, insgesammt habe an diesem Tag über 1500 Menschen demonstriert.

Auf der Kundgebung sprachen Oberbürgermeister Martin Horn, Julia Söhne (SPD), Caro Jenkner (CDU), die Frauenbeauftragte der Stadt Freiburg Simone Thomas und Dr. Katrin Simon, Akademische Rätin am Orientalisches Seminar der Albert-Ludwigs-Universität und Mitglied der Freiburger Grünen.

Um über den Shitorkan und vieles andere zu schreiben, brauche ich hier noch ein Zeit, aber ich will hier die Ansprache von Kathrin Simon dokumentieren, da sie mir selbst viele Zusammenhänge aufgezeigt hat.

Zum Nachhören bei Radio Dreyeckland.

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Links Dr. Katrin Simon auf der Kundgebung am 29.10.2018 auf dem Platz der alten Synagoge. Rechts Sebastian Müller. Foto: Fion Große

„Ein schreckliches Verbrechen ist geschehen. Ein junge Frau wurde von mindestens acht Männern sexuell missbraucht.

Die Täter waren nach allem, was wir wissen, mehrheitlich Geflüchtete aus Syrien. Spielt das eine Rolle? Ich bin Islamwissenschaftlerin und möchte versuchen, mich der Frage zu nähern, die auch in meinem Umfeld, das sich politisch in der Mitte bis links sieht, aufgekommen ist: Hat all das auch irgendwas – ganz pauschal – mit ‚dem‘ Islam zu tun?

Nun ist es so, dass der Islam auch nicht mehr ist als die Summe seiner Interpretationen. Es gibt liberale u. progressive Muslime, Konservative u. Islamisten.

Doch zunächst möchte ich mit einem Vorwurf beginnen, einem Vorwurf, der uns, die wir hier stehen, von der anderen Seite, von AfD und co, gemacht wird: Wir würden die Tat verharmlosen oder gar rechtfertigen, weil es nicht in unser Weltbild passe, dass Muslime solche Taten begehen. Wir seien unglaubwürdig, wenn wir gegen sexualisierte Gewalt demonstrieren und gleichzeitig nicht gegen diese Täter u. instrumentalisierten das Opfer.

Instrumentalisieren tun wir die Tat alle auf gewisse Weise, finde ich. Ja, auch wir hier. Statt uns auf die Frage nach sexualisierter Gewalt u. das Opfer zu konzentrieren, betreiben wir hier zum Teil unseren Lieblingssport: Die AfD niederschreien. Verständlich, aber nicht immer konstruktiv.

Nun ist es ein Fakt, dass die junge Frau von Geflüchteten vergewaltigt wurde. War das absehbar, wie die AfD es in ihrem Demonstrationsaufruf suggeriert hat? Dass sie davor gewarnt hätten und als Nazis beschimpft worden wären – dass es ja klar war, dass es so kommen würde? Warum klar? Weil alle Muslime bzw. Araber Vergewaltiger sind?

Und hier sind wir beim Schwachpunkt der rechten Argumentation, denn in letzter Konsequenz betreibt die Rechte hier einen Entlastungsdiskurs mit ihren rassistischen Zuschreibungen. Wenn alle Muslime/Araber eben Vergewaltiger SIND, weil es irgendwie in ihren Genen liegt: Dann kann man sie als Individuen gar nicht für die Tat verantwortlich machen, dann waren sie eben instinktgetrieben. Implizit wird damit außerdem noch ein Gegensatz konstruiert: Hier die von Geburt an zum Vergewaltiger bestimmten Muslime/Araber, dort wir aufgeklärten, emanzipierten weißen Europäer – manchmal sagt es viel über uns selbst aus, wie wir über andere reden.

Fakt ist allerdings, dass diese Täter ganz individuell eine moralische Entscheidung getroffen haben. Jeder für sich hat beschlossen, diese junge Frau sexuell zu missbrauchen. Jeder von ihnen hätte nein sagen, hätte gehen, hätte Hilfe holen können. Da sie individuell gehandelt haben und nicht als Kollektiv, ist eine kollektive Schuldzuschreibung sinnlos. Rassismus wäre solche eine kollektive Schuldzuschreibung, welche nicht nur die Täter in gewisser Weise aus ihrer individuellen Verantwortung entließe, sondern auch keinen Dialog mehr zuließe. Wenn ‚die‘ ‚so‘ sind: dann kann man da nichts dran ändern.

Nun möchte ich dennoch auf die Frage eingehen, inwiefern die Herkunft der Täter unter Umständen  Einfluss auf ihre individuelle moralische Entscheidung hatte. Spielt ihre religiöse, ihre kulturelle Sozialisation eine Rolle? Dass sie unter Umständen. traumatisiert von Kriegserfahrungen sind? Das ist wahrscheinlich, denn bei jedem Täter wird das soziale Umfeld analysiert und dass es einen nicht beeinflusst, wenn man in einer Region aufwächst, wo Frauen natürlich in vielerlei Weise an gleichberechtiger Teilhabe vom öffentlichen Leben ausgeschlossen sind, wo die Ungleichheit z.B. im Familienrecht in Gesetze gegossen ist und patriarchale Familienstrukturen eher Regel denn Ausnahme sind – dass einen das nicht beeinflusst, ist unwahrscheinlich.

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Oberbürgermeister Martin Horn spricht auf der Kundgebung. Foto: Peter Hermann

Ja, es spielt für Frauen u. Männer sicher eine Rolle im Blick auf ihre Geschlechterbilder, ob sie nun in Aleppo oder Freiburg, in Hamburg oder Kabul aufwachsen – ohne dass das einen Mann zwangsläufig zum Vergewaltiger machen würde, aber für einen individuellen Straftäter natürlich seine individuelle Rechtfertigung bieten kann.

Ironischerweise ähneln die Geschlechterbilder, wie sie Anhänger der Rechten vertreten, erstaunlich jenen derer, die sie zu kritisieren vorgeben. Wenn man sich anschaut, wie AfD-Anhänger vor allem Frauen im Netz mit Vergewaltigungsphantasien überziehen, wie sie von einem starken Deutschland mit heldenhaften Männern u. Frauen am Herd träumen, Genderwahn kritisieren usw. – dann ist die Kritik an Sexismus unter Geflüchteten aus diesem Lager doch recht unglaubwürdig.

Zurück zu der Tat, zurück zu Freiburg. Was kann denn nun getan werden, um die reale und die gefühlte Sicherheit von Frauen zu verbessern? Frauen fühlen sich unsicher, und  die Frage muss erlaubt sein: Hängt das irgendwie mit der sog. Flüchtlingspolitik zusammen?

Nun wird gerne angeführt, dass geflüchtete junge Männer nicht häufiger straffällig werden als die gleiche Altersgruppe in der Mehrheitsbevölkerung. Das stimmt einerseits, aber der Fairness halber muss man erwähnen, dass unter den Geflüchteten aus verständlichen Gründen proportional viel mehr junge Männer sind als durchschnittlich in der Bevölkerung, sie als Gesamtgruppe also statistisch kriminalistisch auffälliger sind. Und damit müssen wir einen Umgang finden.

Letztendlich muss man sich entscheiden, ob man die Zusammensetzung der Gruppe ändern möchte – dann lagert man das Problem eben aus, macht aus Freiburg ein Bullerbü und schickt die jungen Männer in andere Teile Deutschlands oder schiebt sie, falls sie straffällig werden, ab. Sollen sie dann woanders auf der Welt vergewaltigen etc.? Aus der Sicht z.B. der internationalen Frauensolidarität finde ich diesen Gedanken schwierig.

Also müsste man in Kauf nehmen, dass Geflüchtete eben häufiger straffällig werden, da auch in Freiburg junge Männer die größte Gruppe stellen. Da wiederum müssen wir uns dann als Gesellschaft fragen, wie wir umgehen mit unterschiedlichen Sozialisationen, kulturellen Prägungen, die sicher nicht determinieren, aber durchaus Einfluss darauf haben, welche Bilder wir von Männern u. Frauen haben. Das muss diskutiert werden, auch im Spektrum links der Mitte. Welche Rolle soll u. darf z.B. Religion in der Gesellschaft spielen? Wieviel Andersheit braucht eine offene Gesellschaft, aber wo ziehen wir Grenzen?

Zurück noch einmal zum Opfer der Vergewaltigung: Die junge Frau kann sich gegen ihre politische Vereinnahmung nicht wehren. Weder durch die von der AfD, aber auch nicht gegen die von uns. Ich halte es für falsch, diese Tat dafür zu nutzen, reflexartig ‚Rassismus‘ zu rufen und über jedes Stöckchen zu springen, welches die AfD uns hinhält. Stattdessen müssen wir über sexualisierte Gewalt, über problematische Geschlechterrollenbilder sprechen, uns überlegen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen und wo wir politisch u. moralisch rote Linien ziehen, wenn es um Gewalt gegen Frauen und natürlich auch Männer sowie Kinder geht, egal, von wem sie verübt wird, Muslimen oder Nichtmuslimen, Deutschen oder anderen.“

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