Allgemeinverfügung zu Querdenken Spaziergängen in Offenburg und der Ortenau

Ich habe an den Landrat des Ortenaukreises, die Fraktionen des Kreistags, den Oberbürgemeister von Offenburg und die Stadtratsfraktionen geschrieben, da die Position der dortigen Ordnungsämter, bei den „Spaziergängen“ am Montag handle es sich nicht um Versammlungen, für wenig überzeugend halte.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Steffens,
sehr geehrter Herr Landrat Scherer,

ich war im Impfzentrum in Offenburg beschäftigt und erhielt als ehemaliger Mitarbeiter im November 2021 ein Dankesschreiben, in der Sie den Mitarbeitenden für deren Engagement danken. Sie zitieren darin den antiken Denker Menander: „Wenn sich alle Menschen immer gegenseitig beistünden, dann bedürfte niemand des Glücks.“

Am 10.01. war ich wiederum in Offenburg, diesmal auf Einladung der Gruppierung „Aufstehen gegen Rassismus Offenburg“ auf der Gegendemonstration zum Querdenken-„Spaziergang“, da ich mich in Freiburg seit Märt 2020 gegen die verfassungsfeindliche Querdenken-Szene engagiere.
Einen kleinen Auszug in meine Arbeit können Sie den folgenden Berichten aus der BZ sowie der französischen Tageszeitung „Le Monde“ entnehmen.

Sehr erstaunt war ich über die Einordnung Ihrer Ordnungsbehörde, dass es sich bei dem montäglichen „Spaziergang“ um eine zufällige Ansammlung von Menschen und nicht um eine geplante Versammlung handele. Diese Einschätzung bestätigte auch die Polizei. Zu einem entsprechenden Diskurs über diese Einschätzung war der örtliche Polizeiführer nicht in der Lage, sondern lief darauf angesprochen einfach weg.


Lassen Sie mich deshalb meine Einschätzung der Zusammenkünfte darlegen: In der Baden-Württembergischen Corona Verordnung  wird klargestellt, dass Zusammenkünfte, die der Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 dienen, zulässig sind. Die zuständigen Behörden können Auflagen, beispielsweise zur Einhaltung der Hygieneanforderungen, festlegen.

Sollte es sich also bei den „Spaziergängen“, nicht um Versammlungen im Sinne des Artikel 8 GG handeln, würden die deutlich schärferen Regeln für private Treffen gelten und alle Teilnehmenden, verhielten sich ordnungswidrig.
Aufgrund des politischen Charakter der „Spaziergänge“, gehe ich aber davon aus, dass diese der Definition des Bundesverfassungsgerichtes für Versammlungen entsprechen, die Versammlungen als örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung, definiert.

Das Gericht führt in seiner Definition aus (BVerfG, Urteil v. 12.7.2001 – 1 BvQ 28/01 und BvQ 30/01, in: NJW 2001, 2459, 2460.): In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Entscheidend abzustellen ist demnach auf die gemeinsame Bildung- oder Kundgabe einer Meinung oder mit anderen Worten einer Meinungsbetätigung. Abzugrenzen ist dies von einer bloßen Zusammenkunft von Personen ohne innere Verbindung, ohne gemeinsamen Zweck, also etwa einer Warteschlange oder Passanten auf einer Einkaufsstraße. Es Bedarf der Verbindung durch ein gemeinsames Anliegen.

Dieses gemeinsame Anliegen und nicht die äußere Form der Versammlung, sind daher maßgeblich.

Zudem gibt es bei den Spaziergängen zumindest halböffentliche (üblicherweise in öffentlich zugänglichen Chatgruppen, mit mehreren hundert Teilnehmenden) Aufrufe, dem dann auch in Offenburg mehrere hundert Teilnehmer:innen folgten. Es gab einen gemeinsamen Startpunkt und ein gemeinsames räumliches Ziel, sowie eine innere Ordnung der Versammlung. Die Versammlung wurde in diesem konkreten Fall begleitet von gemeinsamen symbolischen Handlungen, etwa dem Tragen von Laternen.  Die TeilnehmerInnen finden sich nicht spontan zusammen, sondern wählen immer den gleichen Wochentag (Montag), die selbe Uhrzeit und versammeln sich auch meist an dem gleichen Platz vor dem lokalen Rathaus.
Damit ist die äußere Form einer Versammlung unzweifelhaft gegeben.

Des Weiteren lässt die äußere Form, die Zahl der Wiederholungen, seit mindestens vier Wochen, die immer gleichen Termine und die im Vorfeld erfolgten Aufrufe auch ohne Zweifel den Schluss zu, dass es sich nicht um sogenannte „Spontanversammlungen“ handelt.

Die von Ihnen vertretene Auffassung, dass bei den „Spaziergängen“, da keine Transparente gezeigt würden und meist auch Sprechchöre unterbleiben, keine Versammlung vorliege, überzeugt daher nicht.  Zum einen muss eine Versammlung keine Demonstration im engeren Sinn sein, ich selbst habe auch schon Mahnwachen angemeldet oder andere Aktionsformen gewählt. Zum anderen ist wegen der Nähe zur Meinungsfreiheit viel entscheidender auf das Merkmal der Kundgabe einer Meinung abzustellen, als auf äußere Details wie Plakate oder Banner, denn eine Kundgabe von Meinungen kann ja durchaus durch andere Handlungen erfolgen.

Darüber hinaus könnte man auch die Auffassung vertreten, dass nicht nur die Kundgabe einer Meinung auf der Versammlung entscheidend ist, sondern auch die Kundgabe der Meinung durch die Versammlung. Ähnlich wie etwa bei einem Schweigemarsch, Mahnwache oder anderen Demonstrativen Aktionen, bei denen Teilnehmende sich sogar bewußt den Mund zu kleben. 

Die Teilnehmenden legen selbst großen Wert darauf in ihren Medien (meist Telegram), die Versammlung und die Anzahl der TeilnehmerInnen als großen Protest gegen die Ausbreitung des Corona-Virus darzustellen. Entsprechende Berichterstattung über die Anzahl der TeilnehmerInnen und Zahlen der Polizei werden regelmäßig von den TeilnehmerInnen als zu gering und verfälscht kritisiert. Bild- und Tonaufnahmen von der Versammlung werden von den TeilnehmerInnen entsprechend kommentiert und online verbreitet. Dies zeigt, wie wichtig den TeilnehmerInnen die von ihrer Versammlung ausgehende Botschaft ist. Hinzu kommt, dass ein zentraler gut sichtbarer Ort (Marktplatz) als Ort der Versammlung gewählt wird. Es kommt den TeilnehmerInnen also auch auf die Sichtbarkeit und Wirkung der Versammlung an.

Es gibt also weder einen inneren Grund, der höchstrichterlichen Definition des BVerfG zu folgen und eine Versammlungen anzunehmen, noch eine Veranlassung der Stadt Offenburg diese Zusammenkünfte nicht also solche zu werten.

Hier sollen vielmehr mögliche Auflagen umgangen werden, die die Versammlungsbehörde in eigenem Ermessen auferlegen kann, wie etwa eine Maskenpflicht.

Denn bei einer vorherigen Anmeldung kann die Behörde eine notwendige Zahl an Ordner:innen benennen, die Route der Demonstration sperren, die Bevölkerung informieren und die notwendigen Anordnungen treffen. Falls nötig, auch um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Das wäre auch im Sinne der Versammlung, denn diese Maßnahmen schützen auch die Teilnehmer:innen. Und sie steigern die Wahrscheinlichkeit, dass die Versammlung nicht aufgelöst werden muss.Derzeit ist insbesondere die Auflage zum Tragen einer FFP2-Maske ein gebotenes, erforderliches sowie angemessenes und deshalb verhältnismäßiges Mittel bei Versammlungen, um dem zwingend notwendigen Gesundheitsschutz zur Verhinderung der Ausbreitung des Corona-Virus und zur Vermeidung der Überlastung unseres Gesundheitssystems gerecht zu werden. 

Es muss auch gegenüber den Anwesenden deutlich gemacht werden, dass sie Teilnehmer:innen einer nicht angemeldeten Versammlung sind. Das ist in der Regel eine Ordnungswidrigkeit.

Wer zu einer solchen Versammlung als Veranstalter oder Leiter aufruft, macht sich sogar strafbar. Sollte die Versammlung von der Versammlungsbehörde oder der Polizei aufgelöst werden und die Teilnehmer:innen sich nicht entfernen, handeln sie ordnungswidrig. Der Behörde und der Polizei steht das Instrumentarium des Versammlungsgesetzes dementsprechend voll zur Verfügung. Dies sind insbesondere die Auflösung, ein Verbot und Auflagen. Das bedeutet aber auch, dass diese von den Behörden genutzt werden müßen und nicht unter dem Vorwand der „Deeskalation“, die Übertretung sämtlicher Regeln geduldet werden darf.

Eine entsprechend laxe Praxis von Polizei und Versammlungsbehörde führt dann auch zu einer Verlagerung des Versammlungsgeschehns von einer der zahlreichen Städte, an denen es Allgemeinverfügungen gibt, die diese verbieten (Liste im Anhang), nach Offenburg.

Weder Ihnen als Oberbürgermeister, noch den Bürger:innen oder dem Einzelhandel dürfte daran gelegen sein, dass sich Offenburg als Wallfahrtsort für potentiell gewaltbereite und ungenehmigte Querdenkeraufmärsche, auch überregional etabliert.

Auch die Argumentation, dass ja Abstände eingehalten würden greift aus meiner Sicht nicht. Ich konnte selbst beim dreimaligen Vorbeimarsch sehen, dass diese eben nicht eingehalten wurden – auch entsprechende Filmaufnahmen legen dies nahe.

Unabhängig von der Einschätzung, ob eine Allgemeinverfügung mit einem Verbot angebracht ist, möchte ich Sie um schriftliche Stellungnahme bitten.

Ihrer Antwort freundlichst entgegensehend verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen
Ihr 

Sebastian Müller

Eine Mehrfertigung dieses Schreibens erhalten die Fraktionen des Gemeinderates sowie die lokalen Medien.

Anlage Übersicht Allgemeinverfügungen

StadtQuelleLink zur AllgemeinverfügungBemerkung
Aalenhttps://remszeitung.de/2022/1/13/spaziergaenge-auf-der-ostalb-so-reagiert-die-landkreisverwaltung/?theme=ampOstalbkreis
BacknangQuerdenker TelegramWebsite sehr unübersichtlich nix gefunden
Bad FriedrichshallQuerdenker Telegram
CrailsheimQuerdenker Telegram
Ellwangenhttps://remszeitung.de/2022/1/13/spaziergaenge-auf-der-ostalb-so-reagiert-die-landkreisverwaltung/?theme=amp
EsslingenWebsite Stadt Esslingenhttps://www.esslingen.de/start/buergerservice/pm-allgemeinverfuegung-versammlungsverbot.html
FilderstadtQuerdenker Telegramhttps://swr-aktuell-app.swr.de/news/145805/Filderstadt+verbietet+sogenannte+Spaziergnge/20220113170119
FreiburgQuerdenker Telegramhttps://www.freiburg.de/pb/site/Freiburg/get/params_E-1814345007/1831250/2022-01-07_AV_Versammlungsverbot.pdf
Karlsruhehttps://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/karlsruhe/stadt-karlsruhe-verbietet-montagsspaziergaenge-und-spaziergaenge-100.htmlhttps://corona.karlsruhe.de/aktuell/veranstaltungen-und-teilnahme-an-oeffentlichen-versammlungen-oder-aufzuegen-verbotenBeck Aktuell mit Urteil des VG dass die Verfügung bestätigt: https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vg-karlsruhe-verbot-der-corona-spaziergaenge-rechtens
Kirchheim (Teck)Querdenker Telegram
LeinfeldenQuerdenker Telegram
Lörrachhttps://www.badische-zeitung.de/die-sogenannten-spaziergaenge-in-loerrach-und-schopfheim-sollen-verboten-werdenhttps://www.loerrach-landkreis.de/de/Service-Verwaltung/Landratsamt/Bekanntmachungen/Bekanntmachung?view=publish&item=article&id=5556
MannheimQuerdenker Telegramhttps://www.mannheim.de/de/nachrichten/allgemeinverfuegung-versammlungsverbot-der-stadt-mannheim-vom-22-12-2021
MosbachQuerdenker Telegramhttps://www.mosbach.de/Aktuelles/Erl%C3%A4uterungen+zur+Allgemeinverf%C3%BCgung.html
NürtingenQuerdenker Telegram
Schopfheimhttps://www.badische-zeitung.de/die-sogenannten-spaziergaenge-in-loerrach-und-schopfheim-sollen-verboten-werdenhttps://www.loerrach-landkreis.de/de/Service-Verwaltung/Landratsamt/Bekanntmachungen/Bekanntmachung?view=publish&item=article&id=5556
SchorndorfQuerdenker Telegramhttps://www.schorndorf.de/corona/oeffentliche-bekanntmachung-untersagung-spaziergaenge
Schwäbisch Gemündhttps://remszeitung.de/2022/1/13/spaziergaenge-auf-der-ostalb-so-reagiert-die-landkreisverwaltung/?theme=ampAlles Ostalbkreis
StuttgartQuerdenker Telegramhttps://www.stuttgart.de/medien/ibs/av-verbot-der-spaziergaenge-ab-01-01-2022-mit-begruendung.pdf
WaiblingenQuerdenker Telegram
Waldshut-TiengenQuerdenker Telegramhttps://publish.cmcitymedia.de/news/getFile.php?id=1236443299&id2=1372984&id3=18743&file=3509-1642084917-1.pdfStadt
WeinstadtQuerdenker Telegram
WernauQuerdenker Telegram