Freiburger Friedensbewegung und die Ukraine, Werner Rügemer verklärt die Welt.

Im Nachgang meines Artikels über den Auftritt von Jürgen Rügemer beim Friedensforum, ATTAC und anderen Gruppen war ich in der Sendung von Radio Ech (deutsch) eingeladen.

Die Sendung gibt es auch zum Nachhören auf der Website von RDL.

Radio Ech sendet Sprecher 2 jeden ersten und zweiten Donnerstag im Monat von 19 bis 19:30.

Für Linke Menschen ist eines der schmerzhaftesten Themen die furchtbare Russlandsolidarität in linken oder sich irgendwie links verstehenden Kreisen. Bei uns in Freiburg und Umland läuft das über die Schiene der Friedensbewegung. Und diese Friedensbewegung ist in dem was sie, trotz ihrer überalterten Mitglieder leisten kann, ziemlich aktiv.

Als im Februaer 2022 die Totalinvasion der Ukraine begann, hat die Querdenkerbwegung erstmal ein Jahr gebraucht um sich zu sortieren – die hiesige Friedensbewegung übrigens auch. Zunächst dominierten Energiepreise, erst nach etwa einem Jahr fand sie das Thema „Frieden“.

Ja, genau, Frieden. Das klingt ja wirklich toll. Das merkt man auch immer wieder, dass Passanten, die wirklich für friedensorientierte Menschen halten. Und man beim dagegen demonstrieren gefragt wird: Was habt ihr gegen diese Leute? Die sind doch für den Frieden. Denn nur ein schlechter Mensch wird doch gegen Frieden sein.

Vor dem Hintergrund fand also die Veranstaltung statt. Der Referent Werner Rügemer war schon mal als es um den Stadtbauverkauf ging oder zur Post, 1989 zur Bildungsreform (RDL Archiv) in Freiburg und hielt da einen Vortrag, den viele aus der linken Szene gut fanden. Deswegen hat ja auch in den Kreisen bekannt und sicherlich auch anschlussfähig. Eben ein gutes Beispiel dafür, dass man in einer Sache vielleicht auf der richtigen Seite stehen kann, aber in vielen anderen Sachen dann auf sehr, sehr, sehr falscher Seite.

Schon beim Postvortrag hieß es, laut Veranstaltungsankündigung: „Die These Rügemers lautet, dass die Deutsche Post auf Geheiß von US-Investoren die Löhne in Europa senken soll. Mit dem Wohlwollen der Bundesregierung und der EU maximiere die Post den Profit – auf Kosten von Belegschaft und Kunden, zum Nutzen internationaler Finanzkonzerne.“

Und so ähnlich ging es dann auch in seinem Vortrag mit dem Titel: „Hinter dem Nebel der Kriegspropaganda: Die wirtschaftlichen und politischen Interessen des Westens an der Ukraine“. Wir konnten für die Sendung Mitschnitte, die selbst von ATTAC veröffentlicht wurden, nutzen. Inzwischen gibt es sogar ein YouTube Video.

Die vom Postvortrag 2015 erwähnte Analyse, scheint Werner Rügemer eigentlich immer auf alles anzuwenden: Es sind immer US Finanzkonzerne, wie Blackrock, die nach Europa kommen, ihr Profite auf Kosten der Bürger:innen ausbauen und unsere willfähigen Regierungen, die dabei mitmachen. So ist es bei der Privatisierung von Wohnungen, bei der Post und nun auch beim Ukrainekrieg.

In den 1990er und 2000er Jahren legte er kritische Analysen zu Blackrock und Cross Border Leasing vor, die auch beachtet wurden. Nun aber auch Autor in den Nachdenkseiten, die von Psiram so eingeordnet werden:

Die NachDenkSeiten wurden lange Zeit für ihre Seriösität geschätzt. Um 2014 jedoch begann im Zusammenhang mit Kommentaren über die „Mahnwachen für den Frieden“ die Anzahl antiamerikanisch und verschwörungstheoretisch geprägter sowie wissenschaftskritischer Beiträge zu steigen. Heute bedienen die NachDenkSeiten sich in ihren Beiträgen beim Vokabular klassischer Verschwörungstheorien.

Psiram

Da passt er aber mit seiner von Antiamerikanismus geprägten Analysen gut hin.

Auch selbst hat er inzwischen einen Eintrag bei Psiram: Dort wird auch ausführlich sein Antiamerikanismus, Anti-Semitismus-Vorwürfe gegen ihn und Interviews mit Ken Jebsen und anderen kritisiert.

Das passte auch zu seinem Dog Whistling während des Vortrags in Richtung Querdenker, ich habe mir aufgeschrieben: „Spätestens seit Corona wissen wir ja, dass die Mainstreampresse uns nicht die ganze Wahrheit sagt.“ (Jürgen Rügemer)

Was man ihm zu gute halten sollte, ist das er selbst zugegeben hat, kein Experte für die Ukraine zu sein. Da fragt man sich auch, warum wird er eingeladen, aber das hatte wohl andere Gründe: Man wußte was er liefern würde. Denn den Vortrag hat er als Beitrag bei den Nachdenkseiten schon mal eingestellt.

„Die Ukraine ist korrupt – wissen wir, macht nichts, ist ja für die gute Sache. Aber die ärmste und kränkeste Bevölkerung, Land als Drehscheibe der europaweiten Niedrigstlöhnerei und des Zigarettenschmuggels, Weltspitze beim Handel mit dem weiblichen Körper – und mehr Soldaten als jeder europäische NATO-Staat.“

Werner Rügemer fasst seine Thesen zur Ukraine zusammen.

Aus dieser Analyse folgt bei ihm aber kein Aufruf zur Solidarität, keine Bitte zu helfen, sondern Verachtung der Armen.

Zusammenfassend: Die Leute da sind arm und sind eigentlich auch gar nicht selber in der Lage zu handeln. Aber sie haben die größte Armee in Europa – Warum wohl? Vielleicht weil sie 2014 von Russland überfallen wurden? Übrigens war damals die Armee der Ukraine 292.000 Soldaten groß, die Russlands hatte 700.000 Soldaten, die Frankreichs schon 212.000 oder Deutschland etwas 180.000.

Übrigens ist die kleine Ukraine von der Fläche her doppelt so groß wie Deutschland.

Dabei ist die Analyse von Rügemer durch wenig landeskundliche Feinheiten geprägt. Was an Details stört wird passend zurecht gemacht oder durch Auslassungen eingepasst. So behauptet er, es habe in der Ukraine vor 2015 keinen Mindestlohn gegeben, was aber falsch ist.

Steht nur halt nicht in der Deutschen Wikipedia, in der Ukrainischen schon. Oder dass der Mindestlohn in der Ukraine umgekehrt 1,21 EUR betragen hätte. Dazu merkt RDL in einem Kommentar an: „Schon vor dem Krieg war die Währung des Landes mit schwelendem Konflikt mit der Atommacht Russland stark unterbewertet, weshalb das nominale Einkommen in Dollar umgerechnet um den Faktor 3,5 niedriger lag als die Kaufkraft der Landeswährung. Daraus würde sich in heimischer Kaufkraft ein Mindestlohn von 4,26 € ergeben“

Auch die Anexion der Krim und den Überfall auf den Donbas in der Folge blendet er aus.

Auch seine Ausführungen zur Rolle postsowjeitischer Gewerkschaften, die man kan keinesfalls mit denen von Gewerkschaften in Deutschland vergleichen kann, überzeugen wenig. Denn das waren keine freien Gewerkschaften, sondern der verlängerte Arm des Staates.

Und dann war da das mit dem Blackrock. Da sollte sich Herr Rügemer eigentlich auskennen. So beklagte er fast schon, dass an den Profiten von Rheinmetal, ja Blackrock – also amerikanische Kapitalisten verdienen – und nicht unsere Deutschen Kapitalisten. Und dann habe ich auch während der Veranstaltung mal nachgeguckt, wie ist eigentlich das mit der Aktionärsstruktur? Und dann sieht man, dass Blackrock mit 5,31 % der größte Einzelaktionär ist, aber natürlich nicht, einen bestimmenden Einfluss auf das Unternehmen hat.

Dann meinte auch noch der größte europäische Aktionär ist der norwegische Staatsfonds. Auch das ist so im Detail nicht ganz richtig, denn der größte europäische Aktionär ist die UBS, ist immerhin eine Schweizer Bank und auch die Schweiz gehört ja zu Europa und da nicht wie in Norwegen, das ja auch nicht in der EU ist. Und dann kommt nicht der norwegische Staatsfonds, sondern die norwegische Staatsbank.

„2014 wurden wir die Regierungsverhältnisse in der Ukraine durch westliche Agenturen verändert“

Jürgen Rügemer über den Maidan

Rügemer hat dann das später noch mal deutlicher wiederholt und auch gesagt, die USA wären daran schuld gewesen an diesem Putsch. Das ist einfach eine klassische, gängige Verschwörungmythologe, so wie man sie aus den russischen Propagandaund aus Telegram Kanälen der Querdenker kennt. Durchgängig alle Osteuropa Experten sagen: 2014 der sogenannte Euromaidan oder die Revolution der Würde, war ein Volksaufstand gegen einen korrupten Präsidenten.

Und eigentlich müsste man ja als linke Person für einen Volksaufstand gegen korrupte Eliten doch eine gewissesrSympathie haben. Stattdessen erklärt man das einfach mal als gesteuert von westlichen Agenturen, die natürlich nicht näher benannt werden müssen.

Natürlich war an dem Abend kein Ukrainer da. Dementsprechend fragt RDL auch in einem Kommentar: „Wieviel Mühe haben sich Menschen aus der deutschen Friedensbewegung gegeben, je mit Linken aus der Ukraine zu reden oder überhaupt mit ukrainischen Flüchtlingen?“ Trotz der erheblichen Anzahl ukrainischer Flüchtlinge, ukrainischer Linker und einer DUG in Freiburg, blieben an diesem Abend, weiße 70+ Friedensfreunde und Querdenker mit „Impfen nein Danke“-Button unter sich.

Letztlich erklärt, dass dann auch eine gewisse Anschlussfähigkeit nach rechts: Es gibt es sehr schöne Texte, die erklären das Frieden neben anderen Begrifflichkeiten ein leerer Signifikant ist und man damit wunderbar andocken kann. Da können sich die Rechten anschließen, da können sich Linke anschließen und dann kann man sich davon auch relativ schwierig abgrenzen.

„Dass »Frieden« neben anderen Begrifflichkeiten vielfach als leerer  Signifikant verwendet wird, wurde bereits an anderer Stelle analysiert,  etwa für die rechte Telegramm-Szene in Sachsen. Dahinter stehe, so die  Autor*innen, »nicht nur der Versuch, die eigene Agitation als Sache des  Guten – wer kann schon gegen Frieden und Freiheit sein? – darzustellen.  Es geht auch darum, mit dem leeren Signifikanten ›Frieden‹  Anschlussfähigkeit für ein breites Spektrum esoterisch bis extrem rechts  orientierter User*innen anzusprechen.«

Vgl. Johannes Kiess, Michael  Zichert, Gideon Wetzel: Frieden mit Russland?! Friedensvorstellungen in  der extrem rechten Telegram-Szene Sachsens, in: Forschungsjournal  Soziale Bewegungen (FJSB), 2022, 35(4):, S. 677–691, hier S. 690

Als weitere Klammer zwischen den beiden Lagern dient der gemeinsame Antiamerikanismus.

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